Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
begonnen, und sie biss sich auf die Oberlippe.
»Das ist perfekt, denn so können Sie für mich arbeiten! Und zwar nur für mich …«
»Ach«, entgegnete Joséphine überrascht, und sie fragte sich, ob er womöglich eine Abteilung für mittelalterliche Geschichte in seinem Verlag aufbauen wollte.
»Sie haben Gold in den Fingern …«
Sein Blick war nun fest, eindringlich. Der Kellner hatte einen Salat aus frittierten Tintenfischen und ein Carpaccio von Wolfsbarsch und Lachs auf den Tisch gestellt. Serrurier betrachtete den Teller eine ganze Weile mit gereizter Miene und griff dann nach seinem Besteck.
»Reines Gold, wenn es darum geht, zu schreiben, Geschichten zu erfinden … Wenn es darum geht, etwas zu finden, was die Menschen interessieren wird, indem Sie sie selbst interessant machen, indem Sie ihnen unzählige Dinge beibringen, nicht nur Historisches. Sie haben Talent, das Problem ist bloß, dass Sie es nicht wissen, Sie haben nicht die leiseste Vorstellung davon, wie kostbar Sie sind.«
Sein auf sie gerichteter Blick hatte sie isoliert, ins Scheinwerferlicht gerückt, in einen Lichtkegel getaucht. Er war nicht länger der gehetzte Mann, der, die Kellner zur Seite schubsend, ins Restaurant gestürmt war, der Mann, der sich bei der Weinbestellung aufregte, der Mann, der vor sich hin schimpfend seine Serviette auffaltete, der Mann, der sich kaum dafür entschuldigt hatte, dass er sie hatte warten lassen …
Er betrachtete sie wie jemanden von großem Wert.
Und Joséphine vergaß alles.
Sie vergaß den Affront ihrer Kollegen, vergaß den Schmerz, der sie nicht mehr losließ, seit sie erfahren hatte, dass sie aufs Abstellgleis geschoben worden war, den Schmerz, der ihr alle Lust, alle Pläne raubte. Sie konnte kein Geschichtsbuch mehr aufschlagen, keine Zeile mehr über das zwölfte Jahrhundert schreiben, konnte sich nicht mehr vorstellen, stundenlang in der Bibliothek zu sitzen. Ihr ganzes Wesen verwahrte sich dagegen, die kleine, bescheidene, fleißige Forscherin zu bleiben, der andere ihren Platz zuwiesen. Und da gab ihr dieser Mann ihren Adelsbrief zurück. Dieser Mann sagte ihr, dass sie Talent habe. Sie richtete sich auf. Glücklich, ihm gegenüberzusitzen, glücklich, eine halbe Stunde gewartet zu haben, glücklich, dass er sie ansah und schätzte.
»Sie sagen ja gar nichts«, sagte er und verengte den Lichtkegel um sie.
»Es ist nur so, dass ich …«
»Sie sind es nicht gewöhnt, dass man Ihnen Komplimente macht, stimmt’s?«
»Wissen Sie, in meinem akademischen Umfeld ist die Tatsache, dass ich dieses … hmm … Buch geschrieben habe, nicht sonderlich gut angekommen … Deshalb dachte ich …«
»Dass Ihr Buch schlecht sei?«
»Nein. Nicht wirklich … Ich dachte, es sei nur nicht besonders gut, ich hielt das alles für ein Missverständnis.«
»Ein Missverständnis, das über fünfhunderttausendmal verkauft wurde! Solche Missverständnisse hätte ich gern jedes Jahr … Der Tintenfischsalat war heute aber nichts Besonderes!«, sagte er zum Kellner, der die Teller austauschte. »Machen Sie sich jetzt schon über Ihre Gäste lustig? Das wird ja immer besser! An Ihrer Stelle würde ich mir Sorgen machen!«
Der Kellner ging mit hängenden Schultern davon.
Über Serruriers Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln, dann wandte er sich wieder Joséphine zu.
»Und Ihre Familie?«
»Ach, meine Familie …«
»Ist sie nicht stolz auf Sie?«
Sie lachte verlegen.
»Nicht besonders …«
Er rückte auf seinem Stuhl zurück und musterte sie aufmerksam.
»Wie schaffen Sie das dann?«
»Wie schaffe ich was?«
»Zu leben, einfach zu leben. Ich meine … wenn niemand Ihnen sagt, dass Sie wundervoll sind, woher nehmen Sie dann die Energie …?«
»Na ja … ich bin daran gewöhnt … Das war schon immer so …«
»Sie zählen einfach nicht.«
Verwundert schaute sie zu ihm auf, und ihre Miene fragte: Woher wissen Sie das?
»Und jetzt, nachdem Ihre Schwester tot ist, noch umso weniger … Sie sagen sich, dass Sie kein Recht hätten zu leben, kein Recht zu schreiben, kein Recht zu atmen … Dass Sie nichts wert seien und, wer weiß, vielleicht hat sie ja das Buch sogar wirklich selbst geschrieben!«
»O nein, das nicht! Ich weiß ganz genau, dass ich das war.«
Er betrachtete sie lächelnd.
»Hören Sie zu … Wissen Sie, was Sie jetzt tun werden?«
Joséphine schüttelte den Kopf.
»Sie werden schreiben … Ein neues Buch. Erstens weil Sie bald kein Geld mehr haben werden. Das Honorar
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