Montana 04 - Vipernbrut
einfach weil er so verdammt perfekt war, kamen ihm jetzt lächerlich vor, und er wünschte sich nichts mehr, als all das ungeschehen zu machen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, seine »richtige« Mutter ausfindig zu machen, bloß weil er wütend auf Aggie und Dave war? Wie blöd war das denn?
Seine Handgelenke waren aufgerieben von den Handschellen, seine Finger und Zehen taub vor Kälte.
Super.
Der Scheißkerl hatte es warm in seiner Fahrerkabine, und sie hier hinten auf der Ladefläche bibberten vor Kälte. Gabes Nase fühlte sich an wie ein Eiszapfen, seine Zähne klapperten unkontrolliert, doch das wohl mehr vor Angst als wegen der eisigen Temperaturen.
Der Psycho würde sie töten. Alle drei. Gabe hatte in seine Augen gesehen, als er seine getönte Brille kurz abgesetzt hatte, und gewusst, dass er sie beseitigen würde. Mordlust hatte darin gestanden, als könnte er es kaum abwarten, Gabriel die Kehle durchzuschneiden. Was seine leibliche Mutter anbelangte, die Polizistin - nun, Gabe hätte so gern an sie geglaubt, hätte sie für klüger und stärker als diesen Bastard gehalten, doch die Wahrheit war, dass auch sie sterben würde.
Diese Missgeburt schien sich förmlich danach zu verzehren, Selena Alvarez sterben zu sehen.
Der kleine Subaru mit Alvarez hinter dem Lenkrad raste, so schnell es die schwierigen Wetterbedingungen eben zuließen, die Bergstraße entlang, die das von riesigen Fichten und Kiefern geprägte Waldgebiet durchschnitt. Tief unter ihr, verborgen in der nächtlichen Dunkelheit, lag der Cougar Creek, ein zerklüfteter Bachlauf, der im Frühling zu einem reißenden Fluss anschwoll, nun aber zugefroren in einer Art Winterstarre lag. Abgesehen vom Motorengeräusch des Outbacks war alles still, ohrenbetäubend still. Hier draußen lag dick Schnee auf der Straße, doch sie erkannte die frischen Spuren eines weiteren Fahrzeugs.
Sie war nicht allein.
Er war hier.
Der Wahnsinnige, der Gabe entführt hatte und der zweifelsohne mit dem Psychopathen identisch war, den die Presse den »Eismumienmörder« getauft hatte. Hier versteckte er sich also, in den dichten Wäldern um Grizzly Falls. Hatte er Gabriel bei sich? Und was war mit Trilby Van Droz, der Streifenpolizistin, der die undankbare Aufgabe zugefallen war, Gabe nach Helena zu überstellen? Der Mörder hatte sie mit Sicherheit nicht ungeschoren davonkommen lassen, genauso wenig wie sie ihm ihren Schützling so mir nichts, dir nichts überlassen hatte … Nein, es war mit Sicherheit zu einem Kampf gekommen.
Trilby ist tot. Wenn er nicht auffliegen will, darf er sie nicht am Leben lassen.
Nein, er würde sie aus dem Weg geschafft haben.
Galle stieg in ihrer Kehle hoch, doch sie schluckte sie herunter und fuhr weiter, wobei sie sich an die Tatsache klammerte, dass Trilby bald schon vermisst werden würde. Wenn sie mit Gabe nicht rechtzeitig in Helena ankam oder sich per Funk meldete, würde das Department nach ihr suchen lassen. Bestimmt würde sich das FBI einschalten und …
Zu spät. Ja, sie werden schon bemerken, dass etwas nicht stimmt, doch dann wird es zu spät sein.
Das Gleiche galt für O’Keefe. Er würde sich fragen, weshalb sie nicht zu ihrer Verabredung erschien, würde sich wundern, warum sie nicht ans Handy ging. Er würde wissen, dass etwas Schreckliches passiert war, nicht jedoch, wie er sie finden könnte.
Nein, jetzt war sie auf sich selbst gestellt.
Alvarez spürte das Gewicht der Pistole in ihrem Schulterholster. Die Waffe hatte ihr immer ein tröstliches Gefühl der Stärke gegeben, doch heute Abend kam sie ihr vor wie ein totes Gewicht. Bald schon würde sie ihr abgenommen werden, daran zweifelte sie keine Sekunde.
Natürlich trug sie noch eine zweite Waffe bei sich, außerdem ein Messer im Stiefel. Das war zwar nicht besonders geistreich und außerdem vorhersehbar, aber es war besser als nichts.
Außer diesen beiden Waffen hatte sie nur noch ihren Verstand und ihren Instinkt, um sich und ihren Sohn zu retten. Gott steh mir bei, bat sie inständig, obwohl sie ihren Glauben an eine höhere Macht schon vor langer Zeit eingebüßt hatte.
Die alte Minenstraße war nicht geräumt, doch wegen der Baumkronen, die ein regelrechtes Dach über dem Asphalt-streifen bildeten, lag der Schnee nicht allzu hoch, und ihr Geländewagen schaffte es, den Berggipfel zu erreichen.
Mit zusammengebissenen Zähnen und klopfendem Herzen hielt sie auf die höchste Stelle des Cougar-Passes zu und starrte durch die Windschutzscheibe
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