Montana 04 - Vipernbrut
schiefen Zähne, sein Atem waren direkt über ihrem Gesicht.
»Ja, das ist gut!«
Plötzlich war sie in einer anderen Zeit. An einem anderen Ort. In Emilios Wagen. Verzweifelt setzte sie sich gegen ihn zur Wehr.
Oestergard griff mit den Fingern in ihr Haar. In diesem Augenblick sah sie etwas, direkt über seinem Kopf: den Stiel eines Eispickels, den er neben der Wanne liegen gelassen hatte.
»Gefällt dir das?«, fauchte er, dann blickte er zum Käfig hinüber. »Du kannst zuschauen«, sagte er zu Johnna, doch plötzlich erstarrte er. »Was zum Teufel … ?«
Alvarez hörte das Quietschen der Scharniere, als die Käfigtür aufschwang.
»Scheiße!«, brüllte er und verlagerte sein Gewicht, so dass sie sich wieder bewegen konnte. Jetzt oder nie!
Sie schnellte mit dem Oberkörper hoch, prallte gegen ihn und streckte den Arm aus. Ihre Finger streiften den Eispickel, der laut krachend zu Boden fiel und davonrollte.
Fluchend griff er danach, entschlossen, sie zu töten, sein Gesicht brannte vor Zorn.
»Aufhören!«, schrie Johnna und lenkte den Irren für den Bruchteil einer Sekunde ab.
Alvarez warf sich herum, ihre Finger scharrten über den schmutzigen Felsboden, dann schlossen sie sich um den Griff des Eispickels.
In dem Augenblick wandte er den Kopf. Sein Blick fiel auf ihre Hand.
Sie holte aus.
Schwang den Eispickel mit aller Kraft nach oben und traf Oestergard direkt unterhalb des Kinns am Hals.
Mit einem ekelhaft schmatzenden Geräusch durchdrang der Pickel die weiche Haut seines Kehlkopfs.
Der Eismumienmörder, von der Wucht des Aufpralls nach hinten geschleudert, griff nach dem Stiel und schnappte nach Luft. Blutiger Speichel sprühte über den Fußboden und Alvarez. Er rappelte sich hoch und blieb schwankend stehen. Mit einem seltsamen Gurgeln zog er den Eispickel heraus. Jetzt schoss das Blut aus der Wunde. Oestergard presste ungläubig die Hand darauf und taumelte auf Alvarez zu.
Diese rollte sich zur Seite, halb unter die Werkbank.
Johnna Phillips, die reglos vor der Käfigtür gestanden hatte, setzte sich in Bewegung. Offenbar war sie noch nicht fertig mit ihm, gab sich nicht damit zufrieden, dass er qualvoll verbluten würde, nein, sie griff nach der langen, spitzen Spezialzange, die er offenbar zur Bearbeitung seiner grauenhaften Skulpturen verwendete, holte aus und trieb sie ihm mit aller Kraft von hinten durch den Körper. Oestergard sackte auf die Knie, aus seinem Unterleib sprudelte Blut. Johnna musste ihn mit der Zange durchbohrt haben. Er fiel vornüber, sein Kopf traf so hart auf den kalten Felsboden, dass er seine Brille verlor. Alvarez und Johnna konnten die entstellenden Narben neben seinem Auge sehen.
»Das soll dir eine Lehre sein«, keuchte Johnna und beugte sich über den sterbenden Mann. »Leg dich nie mit einer Schwangeren an!«
Plötzlich waren donnernde Schritte zu vernehmen, die irgendwo in der Nähe eine Treppe hinunterstürmten.
»Hier!«, schrie Johnna, »hier sind wir! Wir brauchen Hilfe!«
Alvarez versuchte, sich hochzurappeln. Die Schritte klangen, als hallten sie in einer Art Gang wider, und sie kamen direkt auf ihre Höhle zu.
Als O’Keefe, gefolgt von Pescoli, um die Ecke bog, rollten Tränen über ihre Wangen.
»Selena«, rief O’Keefe mit rauher Stimme, lief auf sie zu und zog sie in seine Arme. »Alles wird gut«, flüsterte er, als sie sich an ihn klammerte, obwohl sie nicht glaubte, dass jemals wieder etwas gut werden würde. »Es ist vorbei. Liebling, halt durch, es ist vorbei.«
Plötzlich war die Höhle voller Polizisten, deren Rufe das Weihnachtslied übertönten, das schon wieder aus den Lautsprechern schallte. Ohne sich von O’Keefe zu lösen, sang sie lautlos mit: »All I want for Christmas is you … «
Epilog
Alvarez blickte aus dem Fenster ihres Reihenhauses. Es war noch früh. Nicht mal fünf Uhr morgens. Vor der Schiebetür war alles weiß. Ein Großteil des Schnees, den ihnen der Blizzard vor drei Wochen beschert hatte, war mittlerweile geschmolzen, doch eine dünne Schicht war geblieben, und der Wetterbericht sagte neuerlichen Schneefall voraus.
Aber das war nichts Neues. In Montana schneite es im Winter nun mal ständig.
Sie schaltete die Lichter am Weihnachtsbaum an und dann den Gaskamin, damit es im Wohnzimmer warm wurde. Sie war froh, noch am Leben zu sein, hatte Glück gehabt. Das sagten alle, mit denen sie nach ihrer Rettung zu tun gehabt hatte: Nachbarn, Kollegen, Nachrichtenreporter - alle bestätigten, dass sie dem Tod
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