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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Inzwischen habe ich eine Mansarde gemietet, um abends auch zu Hause arbeiten zu können; also gehe ich fast jeden Abend an ihrer Wohnungstüre vorbei. IT’S A SHAME , sagt er, I KNOW . Eines Abends, als ich von der Baustelle nach Hause komme, steht unsere Wohnungstüre weit offen, die Wohnung leer, es regnet in Strömen; meine Frau kann nicht im Garten sein, ich rufe vergeblich. Vielleicht ist sie oben? In der Küche steht eine leere Pfanne auf dem Herd, eine glühende Pfanne. Als ich hinaufgehe, öffnet Fräulein Eichelberger und beruhigt mich, meine Frau sei schon wieder bei Bewußtsein. Ich verstehe nicht, was geschehen ist, und als ich in die Wohnung trete, die zu betreten ich seit Jahren gemieden habe, bin ich auf alles gefaßt, nur in diesem Augenblick nicht auf Frau Haller. Meine Frau sei von einem Blitz am Herd getroffen worden. Meine Frau liegt in einem Sessel ziemlich verstört, bleich, aber wach. Sie erwartet zu dieser Zeit unser zweites Kind. Fräulein Eichelberg bittet mich, Platz zu nehmen. Ich setze mich nicht. Ich stehe zwischen meiner Frau und der Gelähmten, die in ihrem Bett liegt. Unsere Kleine ist auch da; wir als Familie. Draußen blitzt es noch immer. Nochmals zum Sitzen aufgefordert, nachdem ich den ausführlichen Bericht gehört habe, finde ich es an der Zeit, Frau Haller zu begrüßen; ich sage: Thesy! als sei ich eben erst ins Zimmer getreten. Ihr Bett steht übrigens nicht so, wie ich jahrelang gemeint habe, sondern im rechten Winkel zu meiner Erwartung; das irritiert mich nebenbei und läßt mich grad in diesem Augenblick vergessen, was ich doch seit Jahren weiß: Ich strecke ihr zum Gruß meine Hand hin, die sie nicht nehmen kann. Sie lächelt aber. Ihre Arme liegen neben dem Körper auf dem Bett, Arme einer Puppe. Übrigens duzen wir uns nicht. Ich setze mich so, daß sie den Kopf nicht drehen muß beim Sprechen. Frau Haller findet mich unverändert. Ihr Gesicht ist kindlich, und sie redet langsam, dabei fröhlich, soweit es sich schickt im Hinblick auf meine Frau, die sich immer noch vor jedem Blitz fürchtet. Fräulein Eichelberger hat einen Tee gemacht. Die Platte unseres Herdes habe ich ausgeschaltet. Als habe sie unseren Besuch erwartet, liegt die Gelähmte mit einer Halskette und mit einem Armband, tadellos gekämmt. Sie fragt nicht, warum ich nie heraufgekommenbin. Unsere Ursula sitzt auf ihrem Bett. Als eine Tasse Tee getrunken ist, finde ich es an der Zeit, meine Frau hinunterzuführen, obschon gerade sie die Geselligkeit, die sie ihren Schrecken etwas vergessen läßt, eigentlich genießt, und ich sage wie schon einmal: Gern ein andermal! Ich bedanke mich natürlich für die Hilfe und alles. Wie ich mich verabschieden soll, da Frau Haller ja ihre Hand nicht geben kann, weiß ich nicht. Soll ich ihre Hand trotzdem fassen? Inzwischen ist uns auch der Name meines damaligen Freundes wieder eingefallen: Bondi hieß er, Emilio Bondi. Was aus ihm geworden sein mag. Als ich mich endlich und etwas plötzlich verabschiede, sage ich: Frau Haller. Das tönt richtiger als Thesy, herzlicher, dabei fasse ich ihre reglose Hand, die neben dem Körper auf der Decke liegt; sie scheint es nicht zu spüren. Wir gehen. Der Arzt hat meine schwangere Frau untersucht und alles in Ordnung gefunden. Erst in den letzten Stunden vor der Geburt kommt die Erinnerung daran, es ist eine regnerische Nacht ohne Gewitter, plötzlich eine irre Angst, es werde ein unheilbares Wesen geboren, unheilbar von Geburt an. Ich fühle mich schuldig. Meine Frau denkt auch daran, ich seh’s, nur geben wir es uns nicht zu. Ich halte ihre schwitzende Hand, bis der Arzt mich wegschickt; ich soll mich ins Wohnzimmer setzen und einen Schnaps trinken, man werde mich rufen. Meine Frau will aber, daß ich zugegen bin bei der Geburt, und ich bleibe, bis das Kind da ist. Ein gesundes Kind, ein Sohn. Wir wohnen noch einige Jahre in jener Wohnung, aber Frau Haller habe ich nie wieder besucht. Ich habe es mir immer nur vorgenommen. Später (1955) habe ich die Wohnung verlassen –
     
    MAX, YOU ARE A MONSTER
     
    – und wohne allein: zwei Zimmer in einem Bauernhaus, Küche und Bad, Plattenspieler gestattet bis 22.00, man braucht sich nicht zu strecken, um an die Zimmerdecke zu greifen, die alte Bauernjungfer unten hört jeden Schritt, auch wenn man die Schuhe ausgezogen hat; das leise Geräusch im Ölofen; drei arbeitsreiche Winter, vier arbeitsreiche Sommer –
     
    MONTAUK
     
    Es gelingt nicht alles an diesem wolkenlosen Tag. Sein

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