Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Urteile verschleudert, danach hat er kein Bedürfnis; auch sonst nicht. Lynn hat eine Flasche Wein gekauft, die er, der männliche Gast, entkorken kann, SAUTERNES . Eine Tätigkeit; er ist froh drum. Ob er hungrig sei? Ihr Haar, bisher offen und lang, stört sie, wenn sie sich bücken muß, um Sahne aus dem Eisschrank zu holen; Lynn muß ihr Haar wieder einmal auf den Kopf knoten, bevor sie weiterkochen kann, und zuerst muß sie die Hände waschen, dann trocknen. Sie ist etwas nervös, obschon er eigentlich nicht zuschaut. Es ist noch Zeit für eine Pfeife. So setzt er sich denn wieder ins Sofa. Er kennt sein Alter; er ist entschlossen, es endlich anzunehmen. Es wäre dringlich, jetzt irgend etwas zu reden. Warum redet Lynn nicht? Im stillen, während er die Pfeife stopft, ist er entschlossen, nach dem Essen nicht lang zu bleiben und sie keinesfalls zu küssen. Er stopft die Pfeife so gelassen wie möglich, so umständlich wie möglich. Es steht diesen Händen nicht zu, ihre Taille zu fassen. Lynn ist mit einer zweiten Pfanne beschäftigt. Ihr Apartment: kleiner als er zuerst gemeint hat, eine Tür zum Bad, die andern Türen sind Schranktüren, also Einzimmer. Zwei Fenster vergittert; trotzdem ist ihr TV-Gerät gestohlen worden.So sicher sind diese Gitter offenbar nicht; er sieht, wo die Gitter verbogen worden sind. WHAT CAN YOU DO , sagt sie. Natürlich wohnt man in Angst. Dann bittet sie den Gast, daß er den Wein eingießt. Vor den beiden Fenstern: die eiserne Feuerleiter, wie gemacht für Einbrecher. Aussicht auf eine Mauer, die kaum fünf Meter entfernt ist, eine fensterlose Mauer; darüber noch etwas Himmel. Darf man fragen, was die Miete kostet. Es schmeckt, was Lynn gekocht und gebraten hat, und sie ist jetzt entspannt. Sie stoßen nicht mit den Gläsern an, Lynn sagt nur: HI ! Sie hat einen guten Appetit, steht aber nochmals auf, um den Plattenspieler zu bedienen, VIVALDI . Ihr Einkommen monatlich: 1080 Dollar, nach Abzug der Steuern: 750 Dollar. Ferien zwei Wochen im Jahr. Das ist hier üblich. Sie kann von Woche zu Woche gekündigt werden, wenn die Firma, die einen blitzenden Wolkenkratzer besitzt, mit Lynn nicht zufrieden ist. Das ist hier so.
MONEY
Die väterliche Frage nach ihrer wirtschaftlichen Situation (denn ihre Schule für geschädigte Kinder wird nicht vom Staat bezahlt, da ihre Pädagogik sich nicht dem Unverstand irgendeiner Behörde unterstellen läßt) habe ich unter vier Augen gewagt; die Tochter, die beim Gespräch ungebleichte Schafwolle verarbeitet, hat sie vielleicht mißverstanden. Was ein Vater, indem er die Familie verlassen hat, seelisch seinen Kindern schuldig geblieben ist, läßt sich nicht wettmachen mit Geld. Ihre Antwort: Man komme vorläufig zurecht. Ihre Miene eher spöttisch.
IT IS POINTLESS
sagt Lynn, als er sie dennoch geküßt hat. Sie hat, um sich aufs Sofa zu setzen, ihre Schuhe abgestreift, und ohne diese Kothurne aus Kork ist sie natürlich kleiner, nicht viel, etwas kleiner. Das hat ihn überrascht. Sie hat auch geküßt, dann aber die fremden Hände von ihren Hüften gelöst, nicht hastig, nur mit sanfter Bestimmtheit; ihre Antwort ist nicht beschämend, da sie seinen Vornamen dazu gibt: nicht peinlich, nur klar. Nachher holt sie ein Album. Er mag keine Fotos. Er muß aber Gast sein. Fotos von der Hochzeit eines College-Girls in Florida: Lynn in Weiß, weniger schlank als heute, eine lange Garbe von Blumen im Arm, Hochzeitsgesellschaft unter Palmen. I GOT MARRIED AS A VIRGIN , sagt sie, THAT SHOULDNOT BE ALLOWED . Um sie zu zeigen, reißt sie jedes einzelne Foto aus dem Album.
MEMOIREN
Als ich zum ersten Mal geheiratet habe ... Er versucht es in Englisch zu erzählen: SHE TOO WAS A VIRGIN , aber das gehört nicht zur Geschichte, SHE WAS AN ARCHITECT TOO . Er findet es eine seltsame Geschichte und hofft, daß sein Vokabular ausreicht ohne den kleinen gelben Langenscheidt, sofern Lynn nicht zuviele Nebenfragen stellt. I GOT MARRIED TWICE , sagt er, LEGALLY , fügt er hinzu, um es kürzer zu machen und zu der Geschichte zu kommen; eine von diesen authentischen Geschichten, die nicht zu lang werden dürfen. Ab und zu sagt er: YOU KNOW WHAT I MEAN . Wir beziehen eine Wohnung, drei Zimmer, Parterre mit einem kleinen Gartenfleck davor, und wir sind glücklich, sagt er: TO HAVE GOT THIS PLACE . Wer sonst noch in dem Mietshaus wohnt, kümmert mich nicht. Ich erfahre trotzdem, daß im ersten Stock eine jüngere Frau wohnt, die am ganzen Körper
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