Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Auch das hat er schon öfter gedacht. Einmal, im Suff, hat er auf diesem schmutzigen Spannteppich gelegen mit ausgespreizten Armen und behauptet: ICH FÜHLE DIE RUNDUNG DER ERDE, ICH FÜHLE DIE RUNDUNG DER ERDE , das war nach Mitternacht, als sie ins Hotel zurückkam und nicht zu melden brauchte, woher und warum so spät, er war froh, daß er es jemand melden konnte: ICH UMARME DIE ERDE ! und seine Ekstase wurde geachtet; kein Wort des Tadels, weil er nicht im Bett lag, sondern auf dem Spannteppich; er wurde mit dem gelben Überwurf, der sich noch auf dem Bett befand, sorgsam zugedeckt, damit er auf dem Spannteppich neben dem Bett nicht fröre, ICH UMARME DIE ERDE , er war selig ... Jetzt klingelt das weiße Telefon; er zögert, nimmt aber den Hörer ab, um das Klingeln zu stoppen. Er redet nicht leiser als sonst, nur kürzer. Deutsch. Eine Abmachung für morgen. Nachdem er den Hörer aufgelegt hat, schaut er sie an: ihr blasser Hals, der sanft-entschiedene Ansatz des Kiefers, das Ohr; sie hat die Haare nach hinten gestrichen. Ihre Lippen sind inzwischen etwas geöffnet. Sie hat müde ausgesehen, als sie angekommen ist. Eine anstrengende Stadt, man weiß es. Einmal fährt ihre Hand durchdas offene Haar, ohne daß der Kopf sich dabei bewegt; das sieht sonderbar aus: was gehört zur Person, die Hand oder der Kopf? Und dann liegt diese Hand wieder auf der Hose. Ihre Schenkel sind schmal. Er blickt auf seine Uhr. Die Zeit bleibt nicht stehen, nur ist es eine andere Zeit geworden. Er sitzt, ohne die Pfeife zu stopfen; er blickt auf Objekte: meine kleine Schreibmaschine, OLIVETTI LETTERA , die gelbe Lampe, eine Plastik-Schale, ihr grünes Feuerzeug, ihre Tasche neben dem Sessel auf dem Boden; einmal durchs offene Fenster: die Fassade gegenüber, BROWNSTONE , die Wasser-Silos auf den Dächern schwarz gegen den gelben Himmel. Ein heller Abend. Er blickt auf ihre lebenden Füße. Zuvor hat sie die Schuhe abgestreift, um barfuß zu sein; das gehört offenbar dazu. Ihre Füße, ihre Hände, ihre Stirne, ihr Ohr. Alles reglos. Sie lebt aber, sie atmet. Ein lebender Körper. Es könnte für ihn noch lang so bleiben. Als sie dann die Augen aufmacht und nicht im mindesten irritiert erscheint, daß jemand im Zimmer ist, nur wortlos die beiden Schuhe anzieht, blickt er (ohne daß Lynn es bemerken kann) auf die Uhr: genau zwanzig Minuten, ziemlich genau. Wohin geht man essen? Sie will noch eine Zigarette rauchen. I AM HUNGRY , sagt sie, nimmt aber ihre Tasche nicht vom Boden. Dann muß Lynn noch ins Bad. Er wartet mit dem Zimmerschlüssel in der Hand. Er ist froh. Eine Einladung, eine interessante, hat er abgesagt, um wieder einmal allein zu sein, und er ist froh, daß Lynn ihn begleitet. Als sie aus dem Bad kommt, macht er sie auf ihre Tasche aufmerksam. I’LL TAKE IT LATER , sagt sie. Ihre Tasche bleibt im Hotelzimmer.
I LIKE YOUR SENSE OF HUMOR
In Gesellschaft ( PEN CLUB ) kann sie lachen, wie es sich gehört. HOW FUNNY , während sie die Leute gräßlich findet. Unter vier Augen lacht sie, wenn er’s nicht erwartet hat. Ihr Lachen tönt ziemlich schrill. Man kann es nicht darauf anlegen, daß sie lacht. Sie kann ihr Lachen auch verweigern. Wenn sie lacht, so lacht eine Überraschte. Das verändert ihr Gesicht augenblicklich, und meistens hat er dann nicht das Gefühl, besonders witzig gewesen zu sein. Sie meint nicht Witze. Sie lacht nie lang, ihr Gesicht bleibt aber noch eine Weile geöffnet, ihr Blick.
YOU HAVE AN OPEN FACE
Es ist nie gesagt worden:
I LOVE YOU
(Über Liebe, als Beziehung zwischen den Geschlechtern, gebe es nichts Neues mehr zu berichten, das habe die Literatur dargestellt in allen Varianten ein für allemal, das sei für die Literatur, sofern sie diesen Namen verdient, kein Thema mehr – solche Verlautbarungen sind zu lesen; sie verkennen, daß das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sich ändert, daß andere Liebesgeschichten stattfinden werden.)
WOMAN’S LIBERATION :
er sei mit Entschiedenheit dafür, sagt er, nichts sei dringlicher in unsrer Gesellschaft. Ob er je mit einer emanzipierten Frau zusammengelebt habe, die Frage stellt nicht Lynn, und er bedauert, daß er sich die Frage selber gestellt hat; jetzt möchte Lynn es wissen und er gießt Tee ein. Eine emanzipierte Frau? Sie essen mit chinesischen Stäbchen, manchmal gelingt es, dann wieder nicht, die beiden Stäbchen fassen den weißen leichten trockenen Reis, hingegen die Bambus-Schoten sind glitschig, und
Weitere Kostenlose Bücher