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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Mauer, ein paar Freunde auch drüben, der eine und andere beschämt mich durch Tapferkeit, eine lange Tapferkeit. Sonntag am Kleist-Grab. Der beste Innenraum der neuen Architektur, den ich kenne: die Philharmonie von Scharoun. Ein kalter Februar; die leichte Luft. Zuerst bewohnbar wird die Küche; Herd mit Gas. Die Wohnung soll nicht voll werden, so meine ich auch, aber Stühle braucht man. Das Telefon steht auf dem Parkett. Ein kleiner Rundtisch erinnert an Gartenwirtschaft oder Bistro. Ein Jugendstil-Leuchter, den Jurek aus der DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK gebracht hat, und ein andrer Jugendstil-Leuchter, der auch Dir gefällt. Oswald Wiener führt eine Kneipe, EXIL , wo wir uns wohlfühlen. Du hast Stühle gefunden,das Stück zu 50 Mark, und bist begeistert von dem Landen, den zwei bärtige Studenten führen; da stehe ich, um die Stühle zu prüfen, und Du wendest Dich ab, als gehörte ich nicht zu den Stühlen; ein anderer Kunde. Die Bärtigen, die einen Wein anbieten, wenden sich an uns beide als Kundschaft, dieselbe Kundschaft. Ein Nachmittag am Schlachtensee; wenn Du fröhlich bist, vergesse ich für eine Weile wieder Dein Unglück mit mir ...
     
    JOURNAL INTIME
     
    Wenn ich einmal darin lese, zum Beispiel weil ich ein Datum brauche für unser Gespräch, so bin ich bestürzt: daß ich vor zwei oder vor fünf Jahren genau zu derselben Einsicht gekommen bin – nur habe ich sie dann wieder vergessen, weil es mir nicht gelungen ist, nach meiner Einsicht zu leben; ich habe das Gegenteil gelebt mit zäher Energie.
     
    IT IS POINTLESS
     
    Er hat ihren Anruf aus der Halle erwartet. Ein sommerlicher Abend draußen. Statt dessen klingelt es an der Zimmertüre, und Lynn steht da. Erst im Zimmer, nachdem er die Türe zugemacht hat, sagt sie: HI ! Ihre Zotteljacke legt sie nicht ab; sie wollen ja nicht im Zimmer bleiben. Man gibt sich nicht die Hand. Lynn ist heute nicht zu ihrer täglichen Meditation gekommen. Zwanzig Minuten vor jedem Frühstück, zwanzig Minuten in ihrem Office-Sessel nach der Arbeit. Heute hat der Boß sie gerufen; eine Konferenz. Sie braucht jetzt nur einen Sessel und ihre zwanzig Minuten. Es ist nicht nötig, daß er das Zimmer verläßt; seine Anwesenheit stört nicht, sofern er nichts redet. Nachdem sie ihre Tasche auf den Teppich gelegt hat, eine große Tasche, eine Art von Sack, sitzt sie wortlos mit geschlossenen Augen, die Hände flach und locker auf den Hosen. Er könnte unterdessen die Zeitung lesen, BOOK REVIEW . Er hantiert aber in der kleinen Küche, um entfernter zu sein; ohne seine Jacke auszuziehen. Während sie also sitzt und atmet, die Hände locker und reglos, beobachtet er sie kaum. Sie atmet. Nichts weiter. Sie atmet leicht und dann, so scheint es ihm, immer langsamer, regelmäßiger. Übrigens hat er auf seine Uhr geschaut: wegen der zwanzig Minuten. Einmal verstellt sich ihr rechtes Bein, sie scheint es nicht zu wissen; es rutscht nicht weg, das Bein, wie bei Schlafenden im Sitzen. Lynn schläft nicht. In den ersten Minuten, die lang sind,denkt er: SHOW . Dann steht er am Fenster, Rücken zu ihr, seine Hände in den Hosentaschen. Er schaut einmal mehr auf diese Straßenkreuzung hinunter aus dem elften Stock. Vor zwei Jahren war’s der sechzehnte Stock. Die Leute, aus dieser Höhe gesehen: Hut mit Schultern, bunt, flach wie Knöpfe, aber begleitet von ihrem langen Schatten, solange die Sonne scheint oder beim Licht der Bogenlampen, dann dreht sich der Schatten um sie, wird kurz und wieder länger. Wenn man auf jemand wartet (wie vor zwei Jahren) und also die Person erkennen will, ist es schwierig: ein brauner Hut und schon meint man, sie kommt, sie kommt nicht sehr spät, kein Grund zu Verdacht. Man kann sich täuschen; der Hut geht anderswohin. Als er jetzt, um nicht wieder das alte Lied zu denken, endlich das Fenster verläßt: zwölf Minuten, und die Fremde sitzt noch immer im Sessel, Kopf gradauf, ihre Lippen geschlossen und schmal, ihre Augen geschlossen. INCONNUE DE LA SEINE , er versucht sie ironisch zu sehen. Auch das stört sie nicht. Schließlich setzt er sich in den andern Sessel, um eine Pfeife zu stopfen. Eigentlich wartet er nicht. Er sitzt einfach da, Ellbogen auf den Knien, die vergessene Pfeife in der Hand. Ohne Bedürfnis nach Tätigkeit. Still ist es nicht; das schale Rauschen der air-conditioning, ab und zu die Autobusse, einmal die Sirene der Polizei. Er betrachtet den Spannteppich. Offenbar haben sie in allen Zimmern hier den gleichen Spannteppich.

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