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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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hundstraurig./Er ist gekränkt! das ist schlimmer, als wenn wir sagen: Er ist hundsgemein. Das letztere sagen wir ohne Herablassung./Gefühle von Schuld, ohne daß ich weiß, was ich unter Schuld verstehe./Zwei Mal, in Montreal und in Chicago, die öffentliche Frage: Stimmt es, Herr Frisch, daß Sie die Frauen hassen?/Verhältnis von Lebensalter und Unwissen: welche mathematische Kurve ergibt das? Trotz Zuwachs an Wissen schnellt die Kurve mit dem Lebensalter: das Unwissen wird unendlich./Hat man schon zwei Hunde gesehen, die, wenn sie sich treffen, über einen dritten Hund reden, weil sie sonst nichts miteinander anfangen können?/Als Märchen von einem Fischer, der sein Netz einzieht und zieht mit aller Kraft, bis es an Land ist, das Netz, und er ist selber drin, nur er. Er verhungert./Ihr katholischesVerhältnis zur Wahrheit./Angst um das Gedächtnis: Wie wenn man mit Kreide auf Glas zu schreiben versucht und das Glas nimmt es nur spurenweise an, wahrt es unleserlich. Ich erinnere mich genau, wo und wem ich das gesagt habe. Wir sind auf einen langen Steg hinaus gegangen. Während er spricht, verstehe ich alles. Am Ende des Stegs sind wir dann stehen geblieben. Wäre er weiter gegangen und über den Steg hinaus und über das falbe Wasser, so wäre ich ihm gefolgt und würde jetzt erst ertrinken; ich weiß nicht mehr, wie er’s erklärt hat./Impotent (zum ersten Mal) mit 35 Jahren –
     
    ARENA STAGE
     
    Euphorie beim Anblick der leeren Bühne vormittags in Washington. Die Moritat von dem Graf, der zur Axt greift, haben sie vor einem Jahr gespielt; die Schauspielerinnen und Schauspieler stellen sich mit den Namen ihrer Rollen vor: COCO, ELSA, MARIO oder I AM THE WIDOW, I AM THE MURDERER . Was sie können, sehe ich am Abend: LEONCE AND LENA . Ich bin begeistert, es ist ehrlich, was ich nachher in den Garderoben sage, und so sind die Küsse, die ich bekomme, auch verdient. Ich muß versprechen, ein Stück zu schreiben und nach Washington zu kommen und das Stück mit ihnen auf diese Bühne zu bringen. Ich verspreche es. Was für ein Stück? Ein neues Stück, ich meine: ein Stück andrer Art, ein heiteres, ein schamloses, nicht unbedingt zum Lachen, aber ohne Lehre. Ohne Hoffnung über das bloße Spiel hinaus. Das verspreche ich nicht mir, sondern der Schauspielerin, die eben die ROSETTA gespielt hat; es muß jemand dastehen, ein Körper, damit ich mir das Versprechen glaube. So hat es übrigens angefangen, das Bedürfnis, Stücke zu schreiben: ich sehe Körper, die spielen können, und ich möchte, daß sie mich spielen, daß meine Rede einen Körper bekomme, viele Körper, männliche und weibliche.
     
    LYNN
     
    Er hat ihr einfach die Brille aus dem Gesicht genommen, um einmal die Augen zu sehen. Sie hat über sein Englisch gelacht. Er hat es getan, ohne ihre Schläfe zu berühren, sorgsam wie ein Optiker mit einer Kundin. Sie steht in ihrer Kitchenette, Geschirr in beiden Händen, im Augenblick wehrlos. Farbe ihrer Augen: wie heller Schiefer unter Wasser. Er findet,eine Brille stehe ihr gar nicht, und sie findet ihn unfair. BECAUSE I NEED GLASSES , sagt sie. Also gibt er die Brille zurück. WHY DON’T YOU HAVE A SEAT , sagt sie. Ein hübsches Apartment. BUT VERY SMALL , sagt sie. Trotzdem geht er auf und ab, die Hände in den Hosentaschen: LIKE A PRISONER , sagt sie, OR LIKE AN ANIMAL . Sie hat ihn eingeladen, weil er neulich diesen Business-Lunch bezahlt habe und weil er, so vermutet Lynn, seit drei Wochen immer in Restaurants speise. Eine freundliche Idee; er weiß sie zu schätzen und setzt sich wie ein Gast. Lynn ist eine langsame und umständliche Köchin, sie kann dabei nicht reden. Hingegen kann er etwas helfen: Tomaten in Scheiben schneiden. Das kann er, ohne den kleinen Schreibtisch zu verschmutzen; er kann auch dabei reden, nur fällt ihm nicht viel ein: daß in Kanada die Seen noch gefroren sind, diese vielen Seen, verstreut wie weiße Zettel, wie zerfranste Fetzen, wenn man ein Blatt aus der Schreibmaschine gerissen und zerfetzt hat. Dann ist auch das getan, die zwei Tomaten in Scheiben geschnitten. Es ist Sonntag, früh am Abend und draußen noch hell, und er steht wieder, während es in einer Pfanne brutzelt. Er sieht sich ihre Bücher an. Er weiß, daß er langweilig ist. Über Literatur hat er in den letzten Tagen genug geschwatzt. Ob er auch koche? Lynn hat nicht viele Bücher, was ihn erleichtert. Gespräche über Literatur, die meistens darin bestehen, daß man Kenntnisse demonstriert und

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