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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Vorschlag nach der Landkarte: CULLODEN POINT . Was er sich versprochen hat: ein Dorf, einkleines Fischerdorf mit Hafen, Masten, Häusern, Einwohnern (wie in der Bretagne vor einem Jahr) und dann lohnt sich nicht einmal ein Stop: ein flaches Gelände mit Baracken, zum Teil verrottet, Motorboote an Bojen, andere zur Reparatur auf dem Gelände, Parkplätze, Tankstellen mit Wimpeln, Haufen von alten Pneus, Gelände mit Abfall aller Art und Pfützen: FOR SALE , die bekannten Schilder: TEXACO, PIZZA, SHELL, BLUE RIBBON, HAMBURGER, REAL ESTATE . Es ist genau Mittag – vielleicht möchte die junge Frau, die Lynn heißt, jetzt lieber allein sein anderswo ... AMAGANNSETT , auch ein indianischer Name; hier steigen sie aus, obschon es auch kein Dorf ist: Rasen um kleine hölzerne weiße Villen, Rasen und Bäume, alles gepflegt, einmal ein Schild: FOR RENT . Keine Zäune; alle sind wohlhabend in diesem Bezirk, alle haben Blumen, Wohlstand als Natur. Sogar der blaue Himmel erscheint wie gepflegt. Da und dort steht eine glänzende Limousine. Ein Rasensprenger gegen die grüne Langeweile. Was sollen sie hier? Es ist einerlei, ob man in dieser oder in der andern Richtung geht: Rasen und Bäume, die weißen Villen. Irgendwo ein Sternenbanner; offenbar die Mitte des Ortes. So friedlich, alles so blank und friedlich und wie auf einer Reklame. Man hört Vögel. Plötzlich ist es so öde, daß man sich über nichts unterhalten kann. Man liest Schilder: CHURCH, LIQUOR STORE, ANTIQUE SHOP, BOUTIQUE . Es wäre die Rettung, wenn man irgend etwas brauchen würde. Immerhin schaut Lynn sich Hosen an, Gürtel, nichts Bestimmtes; was eben da ist. Sie wird nichts kaufen; sie würde es nicht wollen, daß er es ihr schenkt. Wie immer wenn eine Frau sich Sachen ansieht, die sie um keinen Preis kaufen wird, langweilt er sich sofort. Er erinnert Lynn nicht an ihren Hunger. Er hätte eher Durst. Das Mädchen, das die Boutique führt oder zumindest bedient, hat sich nicht aus ihrem Sessel erhoben; eine Leserin barfuß. Sie stören nicht, auch wenn Lynn einmal eine Frage stellt, um nicht unhöflich zu sein, und darauf eine Antwort bekommt. Was in dem Taschenbuch zu lesen ist, scheint das Mädchen mehr anzugehen als die Boutique. Er weiß nicht, warum er auf ihre Füße schaut, die Füße der Leserin. Zierfische in einem Aquarium. Es ist schade um die Zeit. Lynn steht jetzt bei den Hüten. Er wundert sich, daß er nicht nervös wird. Irgend etwas denkt das Hirn immer, oft dasselbe, so daß es ihn nicht interessiert, was es denkt. Als er aus einem Bündel von Gürteln mit schweren und grimmigen Schnallen einen herausgreift, um ihn zu mustern, sagt Lynn: MUCH TOO EXPENSIVE . Auch das stört die Leserin nicht. So können sie denn gehen. BYE , sagter; die Leserin blickt nicht auf, sagt aber: HAVE A NICE DAY . Im Wagen (Lynn fährt) weiß er, was er in der Boutique gedacht hat: – Ich möchte diesen Tag beschreiben, nichts als diesen Tag, unser Wochenende und wie’s dazu gekommen ist, wie es weiter verläuft. Ich möchte erzählen können, ohne irgend etwas dabei zu erfinden. Eine einfältige Erzähler-Position.
     
    Warum grad dieses Wochenende?
     
    – statt zu beschreiben die ersten Einkäufe auf dem kleinen Wochenmarkt in Berlin, die leere Wohnung, wo ich tagsüber auf die Handwerker warte. Morgen soll es auch warmes Wasser geben. Straßen in diesem halben Berlin und seine Kneipen, seine halbe Havel, seine Kiefern unter nordischem Himmel. Nachmittag in der Stadt, um Geräte für die Küche zu kaufen; es ist das siebente Mal, daß wir eine Küche einrichten. Die Wohnung liegt in der Flugschneise Tempelhof; die Flugzeuge kommen niedrig, so daß es im Hinterhof dröhnt, von Westen her und starten gegen Westen; dazwischen Stille, Friedenau. Man braucht doch mehr als vermutet: Lamellen-Vorhang wegen Morgensonne auf dem Arbeitstisch. Ich schraube fünf Garderobenhaken an. Noch vorgestern haben wir gesagt: Ich gehe jetzt in die Wohnung. Heute sagen wir: Ich geh nach Haus. Allerlei Pappschachteln benehmen sich wie Möbel; Bücher auf dem Boden. Ein alter Schrank, der jedem Besucher sofort gefällt: wer hat ihn gefunden? Du hast ihn gefunden. Wer hat den langen Tisch gefunden? Ich kümmere mich um Dübel. Es hallt in den leeren weißen Zimmern; Musik aus dem kleinen Transistor. Genau die Art von Wohnung, die wir in Zürich vergeblich gesucht haben: einfach, aber mit hohen Zimmern. So sind wir denn in Berlin. Die Begründungen dafür ergeben sich: Leben mit der

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