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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Butler macht. Ein Beispiel für viele. Es wird peinlich; er versteht nicht, was los ist, und sie ist bestürzt über mich, ich werde unzumutbar:
     
    DU KRÄNKST ALLE UNSERE FREUNDE !
     
    und dann meine Empfindlichkeit, wenn ich mich nicht bezichtige und mit Zensuren bedient werde spätestens unter vier Augen, meine krankhafte Empfindlichkeit als Kehrseite der Selbstbezichtigung, die eine Kehrseite der Selbstherrlichkeit ist: als hätten nicht die andern darüber zu befinden, welche Schwächen ich habe, welche Fehler ich mache.
     
    SUNRISE HIGHWAY :
     
    da sie ihre Office-Arbeit nicht am Strand erledigt hat, bittet Lynn, daß er sich ans Steuer setze. Sie liest jetzt. Er fährt gerne, wenn man ihm Vertrauenschenkt, und offensichtlich tut sie das; sonst könnte Lynn ja nicht lesen. Eine fast schnurgerade Straße, also langweilig, wenn es nichts zu überholen gibt. Dann überlegt er im stillen, was sie in Manhattan machen werden: Sonntagnachmittag, Regen, ihr kleines und vergittertes Apartment.
     
    MAX, YOU ARE WRONG
     
    sagt die junge Fremde, und er verträgt das wie ein natürlicher Mensch, ein gesunder Mensch, ein vernünftiger Mensch – das erleichtert mich, denn ich habe es ihm kaum noch zugetraut ... Er hört es nicht als Verweis. Er sieht es ein, daß er links einspuren muß, und tut’s einfach, sagt dazu nicht: SORRY ! um dann verdrossen zu schweigen. Er nimmt es als kleine Hilfe, nicht als Tadel. Neulich hat er gesagt: ALICE IN THE WONDERLAND , es heißt: ALICE IN WONDERLAND , das weiß er eigentlich; er zuckt nicht zusammen, wenn Lynn, die das Buch übrigens nie gelesen hat, ihn verbessert, und seine Begeisterung nimmt deswegen keinen Schaden. Er nimmt es nicht als Zensur. Sein Irrtum gestern, als er am Strand einen blauen Sonntag vorausgesagt hat, ist keine Schlappe; sie bedauern bloß beide, daß es heute regnet. Wenn Lynn sich über die Einwohnerzahl von Berlin irrt, so sagt auch er: YOU ARE WRONG , er sagt es unbefangen; keine Revanche, daher braucht er seine Berichtigung nicht abzufedern, nicht zu sagen: I THINK YOU ARE WRONG . Es kommt vor, daß beide etwas nicht wissen, zum Beispiel wann die letzten Indianer auf dieser Insel gelebt haben. Hin und wieder sagt auch Lynn: ARE YOU SURE ? aber er muß sich nicht beherrschen deswegen; eine natürliche Frage. Wenn sie’s dann besser weiß, so ist er zufrieden; das spart Zeit oder Kosten, einen Umweg, eine falsche Hoffnung. Ist er aber sicher, zum Beispiel wann das Whitney Museum geöffnet ist, so macht ihn ihre Frage nicht gereizt; man könnte ins Whitney Museum gehen und vor der Malerei stehen, ohne sich selber auf die Nerven zu gehen, ohne einen faden Nachgeschmack von Rechthaberei. Er ist nicht gespannt, wann ihm sein nächster Fehler unterläuft; er fühlt sich nicht im Examen. Ein Mal, im Central Park, ist Lynn auf einem schwarzen Felsen ausgerutscht; als er sich entschuldigt, sagt sie: ARE YOU CRAZY ? – noch hat er sie nicht verwöhnt durch seine Selbstbezichtigungen ... Lynn am Steuer (vor einer halben Stunde) ist nicht auf seine Frage eingegangen: Wieso ist es einer fremden Landschaft anzusehen, daß heuteSonntag ist? Jetzt erst erkundigt sich Lynn, ob er’s herausgefunden habe. Auch er hat inzwischen an anderes gedacht:
     
    Wir haben gehört, wie Neruda liest.
     
    Jetzt ist es zu spät für meinen Chile-Besuch.
     
    Morgen (Montag) ist noch einiges zu erledigen, Bücher sind auf die Post zu bringen, damit das Gepäck kein Übergewicht hat, und einige Leute sind anzurufen, Freunde vom letzten Mal, die ich vernachlässigt habe, alle fragen nach Marianne und wann wir wiederkommen.
     
    DID YOU HAVE A GOOD TIME ?
     
    Beide haben gearbeitet, das kann ich sagen, auch Ferien gemacht; einmal in London und einmal in der Bretagne. Alles in allem Glück mit der Gesundheit. London wäre die Stadt. Aber nun haben wir eine Wohnung in Berlin. Der Fluglärm tagsüber; man hat sich daran gewöhnt und das Ohr unterscheidet, ob es der Lärm einer sinkenden oder einer steigenden Maschine ist; die sinkenden Maschinen haben das Fahrgestell bereits ausgeklappt, wenn sie über der Allee erscheinen; die steigenden Maschinen, vom gleichen Fenster aus zu sehen über der gleichen Allee, fliegen höher und meistens mit den vier Düsenrauchschwänzen, ihr Lärm ist schriller, kein Pfeifen wie bei den sinkenden Maschinen, sondern ein Schmettern in der Luft zwischen den Häusern. Es beginnt um sieben Uhr morgens; die gute Zeit, um aufzustehen und in die Küche zu

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