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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Bleib hier! Jugendliebe unter einem Überdruck von Gewissen. Sie ist meine erste Partnerin; wir wohnen nicht zusammen, aber wir treffen uns jeden Tag. Sie ist Studentin. Unser Liebestun ist anfängerhaft-kenntnislos-romantisch, während in Nürnberg die Rassengesetze verkündet werden. Nicht ein Mal in fünf Jahren auch nur die heimliche Versuchung zu einer Untreue. Sie möchte ein Kind, und das erschreckt mich; ich bin zu unfertig dazu, als Schreiber gescheitert und am Anfang einer andern Berufslehre, um kein Taugenichts zu bleiben. Besuch bei den Eltern in Berlin-Lankwitz; der Papa, ein kleiner weißer Herr, führt mich durch das Museum, wo ihn, der dieses Museum eingerichtet hat, ein alter Wärter gemütlich grüßt: HEIL HITLER, HERR GEHEIMRAT . Unterwegs sehe ich die Stürmer-Schaukästen, Bilder von jüdischem Ritualmord an arischen Kindern. Ich gehe ins Theater: ohne die Braut, denn sie ist unerwünscht. Ein andermal sehe ich einen braunen Aufmarsch und höre den Chor: JUDA VERRECKE ! das sagen sie wirklich; ich stehe Unter den Linden, frech vor Angst, und hebe meinen ausländischen Arm nicht. WARTE NUR ! ruft ein SA-Mann, und einige in der Kolonne drehen sich um. In Nürnberg, wo ihre Mutter herkommt, will sie mir das Bratwurstglöckl zeigen; sie bemerkt das Schild nicht: JUDEN UNERWÜNSCHT . Es geschieht nichts, da sie nicht die Nase hat; nur kann ich hinter diesen Butzenscheiben gar nichts essen. Später in der Eisenbahn (ich erinnere mich: wir stehen, um allein zu sein, auf der Plattform des hintersten Wagens, Blick auf das perspektivische Schwinden der Gleise) sagt sie: DU DARFST NICHT SCHLECHT üBER DEUTSCHLAND DENKEN . Dann bin ich bereit zu heiraten, damit sie in der Schweiz bleiben kann, und wir gehen ins Stadthaus Zürich, Zivilstandesamt, aber sie merkt es: das ist nicht Liebe, die Kinder will, und das lehnt sie ab, nein, das nicht. Später finde ich in ihrer Mappe eine kleine Waffe, keinen Revolver, ein vernickeltes Pistölchen, aber versehen mit Munition; das stehle ich ihr. Will ich kein Kind, weil sie eine Jüdin ist? Als ich nicht mehr weiß, was wahr ist in mir, gehe ich in den Wald, um zu denken, und ich glaube mir selber nichts mehr, was ich denke; ich werfe auf den Boden eine Münze: Kopf oder Schrift? Wie der Wurf, Befragung des Orakels, ausgefallen ist, weiß ich nicht mehr. Sie sagt es: DU BIST BEREIT MICH ZU HEIRATEN, NUR WEIL ICH JÜDIN BIN, NICHT AUS LIEBE . Ich sage: Wir heiraten, ja, heiraten wir. Sie sagt: Nein. Ihr Onkel in Kairo, der die Nofretete ausgegraben hat, kann es wirtschaftlich ermöglichen,daß sie in Basel studiert; ich bleibe in Zürich. Ihre Eltern, sehr deutsche Juden, die Hitler-Worte nie auf sich bezogen haben, sind 1938 noch herausgekommen und wurden über neunzig Jahre alt.
     
    SUPERMARKT
     
    Lynn hat noch einiges einzukaufen für Montagabend. Sie achtet auf Preise, mustert und legt wieder zurück. Er kann da nicht helfen und lungert zwischen den Gestellen, mustert die Leute; SILENT MAJORITY , nicht arm, aber grau. ES IST SCHADE UM DIE MENSCHEN , sagt Indra’s Tochter, dabei sind die Gestelle voll; Gemüse, Früchte, anderswo Dosen aufgereiht wie Munition; kein Mangel. Er liest die Preise, um sie zu vergleichen mit den Preisen zu Hause; er weiß die Preise zu Hause nicht mehr. Das beschämt ihn. MAY I HELP YOU ? Frage einer schwarzen Bedienerin. Dann fragt Lynn, ob er grüne oder schwarze Oliven mag. Sie ist ziemlich zerstreut, nicht hastig. Es ist Sonntag und Nachmittag. Wenn er einkauft, Ware aus den Gestellen nimmt und sie in den kleinen Drahtwagen legt, so geht es geschwind und nach Laune; Lynn muß rechnen, und er ist froh, daß Zeit vergeht. Sie ist froh, daß jemand wartet, um nach der Kasse die vollen Säcke zu nehmen und zum Wagen zu tragen. So weit ist es aber noch lang nicht. Sie sucht noch ein Gewürz. Er hat Zeit. Es ist für sie nicht selbstverständlich, daß da jemand wartet. Er steht und liest die Zeitung. Als er aufschaut, ist Lynn im Gedränge verschwunden, nicht zu sehen. Wie sieht sie aus? Dann erkennt er sie an ihrem hellen roten Haar von hinten; er ist eine Weile gespannt, wie wenn man auf der Straße oder im Museum eine fremde Gestalt von hinten sieht: es gäbe zu dieser Gestalt verschiedene Gesichter. Es wird kein leeres Gesicht sein; soviel weiß er. Als sie mit dem Drahtkorb in der Reihe vor der Kasse steht, gibt sie einen Blick, ein Lächeln; dann gibt sie zwei Scheine, vermutlich Zehn-Dollar-Scheine, zählt nachher die kleineren

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