Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
weiß nicht, daß ich unterwegs bin zu ihr. Ich fahre weiter: bis Airolo, Schweiz, wo es Nacht ist. Vollmond. Eine Fahrt über den Sankt Gotthard müßte jetzt schön sein.Kurz darauf komme ich in dichten Nebel; man muß sich anstrengen, um die Marksteine zu erkennen. Später regnet es. Ob nicht eine Übernachtung im Hospiz vernünftiger wäre, überlege ich, doch ich steige nicht aus. Ich fühle mich gar nicht müde, im Gegenteil. Kurz nach dem Hospiz, als es talwärts geht, fällt der rechte Scheinwerfer aus. Ich stoppe nicht, sondern verlangsame nur die Fahrt. Zwanzig Stundenkilometer, mehr ist einfach nicht möglich, da ich nur noch den linken Scheinwerfer habe und die Marksteine auf der rechten Straßenseite erkennen muß, um zu erraten, wo es weitergeht. Es regnet in Strömen. Ich bin jetzt der einzige Fahrer auf der Strecke, keineswegs erschöpft oder auch nur schläfrig (so meine ich) nach vierzehn Stunden am Steuer allein. Als ich plötzlich einen weißen Markstein nicht zu meiner Rechten sehe, sondern links, weiß ich, daß ich die Straße verfehlt habe, und stoppe scharf. Der Wagen bleibt stehen, etwas vornüber geneigt. Ich steige nicht aus, um nachzusehen, wie der Wagen jetzt über dem Abhang steht; ich schalte auf Rückwärtsgang. Und es geht. Und ich fahre weiter. Sehr langsam. Hin und wieder stoppe ich, um die Scheibe zu wischen. Es bleibt neblig, auch als der Regen nachläßt. In Andermatt ist kein Hotel mehr offen, so scheint es; Mitternacht vorbei. Also fahre ich weiter, nachdem ich endlich geprüft habe, was an Licht noch da ist: der Scheinwerfer links und die beiden kleinen schwachen Standlichter. Ich kann es nicht aufgeben. Ich habe nichts getrunken (1 Campari in Siena, 3 Espressi in Como, 1 Bier in Airolo) und finde mich wohlauf. Die Gegenfahrer protestieren gegen meinen Scheinwerfer; ich kann ihn aber nicht ausschalten und mich darauf verlassen, daß sie die beiden schwachen Standlichter erkennen. Hoffentlich trifft mich nicht die Polizei. Gegen drei Uhr komme ich nach Hause, UETIKON AM SEE . Nichts ist geschehen, überhaupt nichts: Ich komme von Rom! Das ist alles. Ich bin da. Warum ich nicht wenigstens angerufen habe, weiß ich nicht; ich habe nicht dran gedacht, nur gehofft, daß sie da ist. Sie ist da. Das ist vor dreizehn Jahren gewesen. Ingeborg ist tot. Zuletzt gesprochen haben wir uns 1963 in einem römischen Café vormittags; ich höre, daß sie in jener Wohnung, HAUS ZUM LANGENBAUM , mein Tagebuch gefunden hat in einer verschlossenen Schublade; sie hat es gelesen und verbrannt. Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.
GURNEY’S INN :
die junge Bedienerin, eine andere als gestern, gießt Wasser mit Eisklötzen in die beiden Gläser; Lynn ist noch nicht da, doch weiß er, was zu bestellen ist: MELON, PAN CAKE WITH BACON AND JAM, COFFEE , ihr Sonntagsfrühstück, und jetzt regnet es richtig.
MY LIFE AS A MAN
Nach Jahren sehe ich mich und erkenne mich nicht: – sie befindet sich in der Bircher Benner Klinik, Zürich, und da kommt er, um sie zu besuchen. Er muß warten; offenbar ist man gegen seinen Besuch. Er besteht aber darauf, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Er hält sich nicht für einen Unmenschen. Als er ins Zimmer tritt, schweigt sie entsetzt. Warum ist sie in dieser Klinik? Sie hat sich selber eingeliefert. Er sieht Blumen und fragt nicht, wer diese Blumen geschickt habe. Er schaut zu, wie die Pflegerin gerade die Blumen von gestern austauscht gegen die Blumen von heute. Er setzt sich nicht auf den Rand des Bettes, sondern steht; in zwei oder drei Stunden muß er am Flughafen sein. Als sie das Bett verlassen will, um sich anzukleiden für einen Spaziergang, bittet sie ihn, damit er sie nicht im Hemd sehe, aus dem Zimmer zu gehen. Er wird nach Amerika fliegen, ja, ohne sie. Das alles weiß sie aus Briefen. Sie kennt Marianne und hat mit ihr gesprochen wie eine große Frau. Er ist gekommen, um Adieu zu sagen im fünften Jahr. Er glaubt nicht ganz an ihre Krankheit. Hingegen glaubt er an die Geschichte mit den Blumen, die sie Tag für Tag bekommt, und das macht ihn nicht eifersüchtig; seine Hörigkeit ist aufgebraucht. So gehen sie im Wald; eine Stunde, wie der Arzt es verordnet hat. Ihre Nachricht nach Rom, daß sie in einer Klinik liege, hat ihn sehr erschreckt, aber seine Pläne nicht geändert. Sie hofft noch, daß er, wenn er in Amerika ist, eine Einsicht habe und sie nach Amerika ruft; das wäre die Genesung. So wird es seine Schuld
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