Montedidio: Roman (German Edition)
ermüdet, ich bin ein Werfer und zwinge mich zu warten. Der Mond ist nicht da, Maria betrachtet gebannt den Deckel der Nacht über Montedidio. Ich hingegen sehe nichts als das Meer, für mich sind all die leuchtenden Punkte dort oben wie ein Schwarm Sardellen, und ich mache mit meiner tonlosen Stimme den Ruf des Fischverkäufers nach: »’O ppane d’o mare« , kauft das Brot aus dem Meer!, wenn er mit dem Korb auf dem Kopf und der Waage über der Schulter vorbeikommt. »Sei still, das erinnert mich an den Fischgestank«, sagt Maria, die sich vor Fischen ekelt und alle im Meer lassen würde. Auf dem höchsten Dach des Viertels sind sie und ich die Wächter der Stadt. An die Brüstung gelehnt, unter dem Schutz der Decke eng nebeneinander auf dem Boden sitzend, verbringen wir unsere Zeit, Komplizen des Windes, der seine Scherze mit den leeren Wäscheleinen und den Fernsehantennen treibt. Er pfeift um uns herum, findet unser Versteck und gibt uns einen Schubs, nur damit wir noch enger zusammenrücken.
M ARIA UMARMT MICH, ihr Kopf lehnt in meiner Halsbeuge, wir sprechen leise, flüstern die Worte, sie sagt: »Du wächst jeden Tag, und ich klammere mich an dich, damit ich auch so schnell wachse. Gestern war dieser Muskel auf deiner Brust noch nicht da, gestern warst du noch nicht so richtig für mich wie heute.« Ich kann nichts sagen über gestern, heute ist auch schon vorbei und weggehobelt mit den blonden Spänen des Lärchenholzes und der Form des Hobels in der Hand, dem pfeifenden Geräusch des Schneidens, das den Millimeter Holz abschürft. Und erst ganz am Ende des Tages findet die Hand ihren Platz um den Bumerang und auf Marias Schulter wieder. Gestern, das ist das Stück Papierrolle, das schon beschrieben und aufgerollt ist. Maria, frage ich, ist das hier die Liebe, ammore , die man aus Liedern kennt? »Nein«, sagt sie, »die aus den Liedern ist ammore voller Traurigkeit, ein einziges Gejammer, ach, die ist doch fade. Unsere Liebe ist ein Bündnis, eine Kraft zum Kämpfen.« Unser geflüstertes Geplauder verflüchtigt sich im Wind, der es uns von den Lippen stibitzt.
I N DER D UNKELHEIT ERKENNEN WIR undeutlich die Gestalt eines Mannes auf der Terrasse, vom Wind geschüttelt, er ruft Maria, Maria. Es ist der Hausbesitzer, ihr Körper neben meinem spannt sich sofort an, sie antwortet nicht, ich schlüpfe aus der Decke, ich habe die Kraft des Bumerangs in den Armen, packe den Alten an der Brust und schubse ihn nach hinten, während er weiter Maria ruft und sich gegen mich stemmt wie gegen den Wind, blindlings, er kommt auf uns zu, sagt Maria, prallt gegen meine Hände, die ihn immer wieder zurückstoßen, wortlos, ihn nur wegschieben mit der Kraft, die in mir hochsteigt, und auch der Bumerang unter der Jacke drückt mit. Der Wind umtost mich, packt mich an den Schultern und schleudert mich gegen ihn, ich stoße mit ihm zusammen, schiebe ihn nach hinten, schluchze auf vor Anstrengung, aber er versucht erneut vorwärtszukommen, und ich hole wieder aus und greife ihn gebeugt an, krumm wie der Bogen des Bumerangs. Sein Gesicht sehe ich nicht, ich schaue auf seine Jacke, ziele auf die Brust, das Brustbein. Mit einem letzten Stoß schleudere ich ihn gegen die Tür zum Treppenhaus, die sich hinter seinem Rücken öffnet, und da begreift er, dass nichts zu machen ist, er krümmt sich vor Schmerz wegen der Stöße gegen die Brust, wegen Maria, ich weiß es nicht, er krümmt sich, stolpert die Treppen hinunter, weint, ich sehe einen besiegten alten Mann, von außen und von innen geschlagen, und trotzdem empfinde ich kein Mitleid. Ich gehe zurück zu Maria, die aufgestanden ist, sie umarmt mich mit Eiseskälte, drückt mir gewaltsam einen Kuss aus Schnee in den Mund, Zähne gegen Zähne, das Zittern beruhigt sich.
D ER A LTE IST HUNDEELEND , die Verwünschung mit dem Hund, der die Feile leckt, ist über ihn gekommen. Ich habe ihn weinen gesehen, Maria. »Ich habe ihn auch weinen gesehen: auf meinen Schenkeln.« Wir falten die Decke zusammen, verlassen das Dach, schließen den Wind hinter uns weg. Sie sagt: »Du hast ihn für immer vertrieben.« Ohne den freien Himmel über uns hallt ihre Stimme im Trichter des Treppenhauses. Heiligabend, sagt sie, verbringen wir zusammen bei dir zu Hause und feiern unser Fest ohne die Erwachsenen, wir zwei Verbündete und sonst niemand. Ist gut, sage ich, ich kaufe einen Kapaun und Kartoffeln von dem Lohn von Meister Errico. »Ich backe Kekse und ziehe mir ein schönes Kleid an.« Sie
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