Montedidio: Roman (German Edition)
er hat sie heute Nacht ausgebreitet, sie sind größer als die von Störchen. Er hat beschlossen, auf die Nacht mit dem Feuerwerk zu warten, bis dahin übt er abends in seinem Zimmer. Früher machten ihm die Knallkörper von Neapel Angst, der Lärm des Krieges kehrte darin zu ihm zurück. »Dieses Mal werden es Abschiedsfeuer sein.« Ich sage, dass auch ich mich entschieden habe, ich werfe den Bumerang in derselben Nacht, auch die Flügel des Bumerangs sind bereit. »Wie viel Zeit fehlt noch?«, fragt er, zwei Wochen. Ich hole den kleinen Schwefelbrocken aus der Hosentasche, das ist die Farbe Eurer Augen, sage ich. Er hält ihn gegen das Licht: »Schwefel und Feuer, es regnet Schwefel und Feuer beim Untergang von Sodom und Gomorrha. Grüne Augen, rote Haare, der Herrgott hat mich wie ein glimmendes Holzscheit gemacht.« Er fragt mich, ob seine Augen wirklich so grün sind. Noch grüner, sage ich, sie haben das Licht von den Tränen, der Schwefel nicht. Rafaniello ist dabei, den Haufen Schuhe fertig zu machen, die Leute kommen, um sie abzuholen, er lässt sie keine Schuhe mehr abgeben. In Neapel geht man jetzt mit Schuhen an den Füßen.
I CH HELFE M EISTER E RRICO , die Bretter aus Lärchenholz durch die Hobelmaschine zu ziehen, Harzgeruch strömt hervor, ein Duft, der die Nase weitet. Meister Errico sieht sich das erste gehobelte Brett an, schüttelt den Kopf. »Das kann man nicht mit der Maschine machen«, sagt er, »die müssen wir mit der Hand fertig hobeln.« Er zeigt mir die Harzklumpen, er sagt, dass sie hart geworden sind und die Klinge der Hobelmaschine kaputtmachen, denn wenn das Harz vom Lärchenholz trocknet, ist es hart wie Stein. So lerne ich, den Handhobel zu bewegen, indem ich es Meister Errico nachtue. Die Späne der Lärche sind blond, ein bisschen gewellt, ich komme mir vor wie der Friseur des Holzes. Mittags sehe ich, dass eine Feder unter Rafaniellos Bänkchen gefallen ist, ich hebe sie auf, sie ist leicht, ich spüre sie nicht in der Handfläche. Don Rafaniè, die hier halte ich mir zur Erinnerung an Euch. »Das machst du gut, dass du halten sagst statt behalten. Behalten ist anmaßend, halten dagegen weiß, dass du heute etwas hältst, und morgen, wer weiß, ob du’s noch hältst. Halt sie dir zur Erinnerung.« Ich denke an den Bumerang, noch halte ich ihn fest, aber dann muss ich ihn loslassen. Ich ziehe ihn aus der Arbeitsjacke hervor, seht her, Don Rafaniè, wie gut auch der hier zum Fliegen gemacht ist. Wir kauen das Brot mit den Brokkolisprossen und betrachten den Bumerang. Er hört auf zu essen, fragt mich ernst, aus welchem Holz er gemacht ist. Aus Akazie, Don Rafaniè, ein hartes Holz. Da entfährt ihm ein Schluchzen, ein starkes Husten, er spuckt sogar ein paar Brokkolisprossen aus, dann beruhigt er sich und bewegt im Sitzen den Körper vor und zurück und sagt immer wieder: »Akazie, Akazie«, mit Tränen in den Augen, einem Gesicht, rot wie die Haare, und einem Geräusch von Knochen hinten im Rücken.
A LS ICH ES AUF DIE P APIERROLLE schreiben will, erinnere ich mich nicht mehr, wie es richtig heißt: Er ist in Tränen ausgebrochen, oder die Tränen sind ausgebrochen. Egal, das ist ein Durcheinander gewesen heute Mittag, nichts habe ich verstanden und nichts tun können, und ich habe neben ihm gewartet, ohne weiterzuessen. Ich sehe ihn nicht an, ich warte, nach einer Weile ändert sich sein Husten, es wird Gelächter, er lacht nicht so laut wie vorher unter Tränen, er lacht, und ich muss auch anfangen zu lachen, als ich sehe, wie er sich krümmt und dabei das Wort Akazie wiederholt, das »a« ganz erstickt, er lacht und lacht und hört nicht auf, und ich lache mit und stelle mir vor, dass Meister Errico, wenn er jetzt hereinkommt und uns so sieht, einen Eimer Wasser über uns ausschütten wird, damit wir aufhören. Rafaniello beruhigt sich, und ich bin froh über dieses Lachen, das mir erlaubt, Appetit zu haben, und ich esse das Brot mit den Brokkolisprossen in zwei Happen auf. Ich stecke den Bumerang unter die Jacke neben die Feder, die von Rafaniellos Flügeln abgefallen ist.
I M D EZEMBER SPIELT DER W IND oben bei der Waschküche den Rowdy, er fegt den Staub über den Boden, poliert die Nacht am Himmel blank, nimmt sich die Wärme aus den Häusern mit. Der Bumerang ist ungestüm, er verbrennt die Luft, die seinen Flug lenkt, und meine Arme beherrschen ihn nicht mehr, er ist ein Flügel mit Federn. Ich hole zweihundert Mal pro Arm Schwung für den Abwurf, ohne dass es mich
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