Montedidio: Roman (German Edition)
öffnet ihre Tür mit dem Schlüssel, ich gehe hinunter, komme an der Wohnung des Hausbesitzers vorbei, mir brennen noch die Hände, ich entdecke einen Knopf, der zwischen den Knöpfen an meinem Ärmel hängen geblieben ist, ich lasse ihn auf dem Boden vor seiner Haustür liegen.
W ÄHREND ER MIR DAS G ELD des Wochenlohns in die Hand zählt, fragt Meister Errico, ob es Mama besser geht, ob sie Weihnachten zurückkommt, ich schüttle den Kopf. »Also kein Aal?« Nein, Meister Errico, das ist zu schwierig, er entwischt, sogar wenn er schon durchgeschnitten ist. Ich kaufe einen Kapaun. Ich frage ihn, ob er morgen fischen geht. »Na, das muss das Wetter entscheiden.« Rafaniello sagt mir später, dass man einen Fischer niemals fragen darf, ob er hinausfährt, sie behalten ihre Pläne gerne für sich, wenn sie darüber reden, bringt das Unglück. Sie erzählen erst davon, nachdem der Fisch gefangen ist. Rafaniello kann Neapolitanisch, er sagt, es ähnelt seiner Sprache. Italienisch erscheint ihm wie ein Stoff, ein Kleid über dem nackten Körper des Dialekts. Er sagt auch: »Italienisch ist eine Sprache ohne Spucke, das Neapolitanische dagegen hat den Mund immer voll Spucke und macht, dass die Wörter gut kleben. Mit Spucke geklebt: Bei einer Schuhsohle geht das nicht, doch für den Dialekt ist das ein guter Leim. In meiner Sprache gibt es das auch: zigeklept mit schpajechz , mit Speichel angeklebt.« Das lasse ich mir wiederholen, so kann ich es auf die Papierrolle schreiben. Ich frage ihn, was er am Heiligabend macht. Er macht nichts, er ist kein Christ, ich lade ihn zu mir nach Hause ein, sage, ich würde einen Kapaun für ihn zubereiten, und erwähne dabei nicht Maria. Er dankt, lächelt mit den Falten seines abgemagerten Gesichts, zwischen dem Rot der Sommersprossen leuchtet das helle Grün der Augen. Das Lächeln kommt ihm, um zwischen der Einladung und dem Neinsagen auszugleichen.
I CH SCHLIEßE DIE W ERKSTATT SPÄT , kurz bevor die Läden zumachen, den Kapaun gehe ich beim Metzger holen und die Kartoffeln am Gemüsekarren. »È scesa Napule ’nterra« , ganz Neapel ist auf der Straße, sagt die Wäscherin, die aus dem Fenster ihres basso lehnt. Sie hat die Wäsche wieder abgenommen, die Leute blieben darin hängen, machten sie wieder schmutzig. »Simme assaie, nuie simme tropp’ assaie« , wir sind viel zu viele Leute, viel zu viele sind wir, sagt der Musiklehrer De Rogatis draußen vor dem Fischladen, während er darauf wartet, dass man ihm den lebenden Aal einwickelt. »Ich muss ihn aussuchen, nicht du«, streitet eine Frau mit dem Fischhändler, »Signò, so’ tutt’ eguaglie, tutt’o stesso« , Signora, sie sind doch alle gleich«, sagt er kurz und bündig, dabei hält er den Fisch, der sich windet, am Kopf fest. Eine Dame ist mit dem Wagen durch die Gasse gefahren und hat dabei Don Gaetano, den Schneider, mitgeschleift, der gerade auf seinem Stuhl auf dem Bürgersteig saß und eine Hose flickte, unter der Straßenlaterne, um Strom zu sparen. Sie hat ihn mitsamt dem Stuhl fortgeschleift, bis er auf der Straße lag. Schreie, die Dame ist in Ohnmacht gefallen, alle bei ihr, um ihr zu helfen, und Don Gaetano blieb ziemlich benommen auf der Erde liegen, er hatte noch nichts begriffen und sagte: »Was ist denn, was war das?« In einem solchen Gedränge spürt man die Kälte nicht, das ist besser als ein Mantel. An der Haustür grüßt Donna Speranza, die Portiersfrau, mich zuerst: »Fröhliche Weihnachten, Junge«, Euch auch, Donna Speranza, antworte ich und zeige ihr, welch einen schönen Kapaun ich gekauft habe.
I CH BETRETE DIE W OHNUNG , eine reglose, stumme Kälte, dass man sich schlafen legen möchte. Ich wende den Kapaun in Salz und Pfeffer, schiebe ihn mit den Kartoffeln in den Ofen, das ist eine Prise Wärme. In der Küche höre ich das Radio aus einem Haus gegenüber. Eine alte Bettlerin ist in der Via Santa Maria della Neve auf die Straße gegangen und hat alle Münzen weggeworfen, die sie als Almosen gesammelt hatte, ein Menschenauflauf ist entstanden, die Polizei musste einschreiten. Das Blut des heiligen Andrea Avellino hat sich verflüssigt. Außerhalb von Neapel, in Amerika, haben sie einen jungen Mann zum Präsidenten gemacht. Die Russen haben einen Hund in einer Rakete losgeschickt, die Amerikaner dagegen einen Affen. Ich schalte das Licht aus, schaue nach draußen. Es ist Weihnachten, erleuchtete Wohnzimmer, die Familien setzen sich an den Tisch. Auf meinem ist der Platz für den
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