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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erri De Luca
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Mund ist es eine Sonntagssprache. Und wenn ihm ein Wort fehlt, wird er rot vor Anstrengung, und wenn ich es für ihn finde, sagt er sofort: Sehr gut, und wiederholt es, auch wenn es gar nicht das Wort ist, das er wollte. Ja, ich denke an den Sonntag bei der Solfatara. »Du denkst daran, ja? A tieni mente? « Ja, ich habe sie noch im Gedächtnis. Sogar auf den Vesuv möchte er steigen, an einem Sonntag im Winter, wenn oben Schnee liegt. »E t’a ricuorde ’a neve?« Und du erinnerst dich an den Schnee?, fragt er mich manchmal, und ich nicke, und jetzt zieht vor den Augen, die nach draußen in das Dunkel schauen, der Schnee von ’56 vorbei, der weiche Regen des Nordens, weiß, still. Und wir erzählen uns immer noch davon, und jeden Winter sagt er: »Dieses Jahr gibt es sogar am Meer Schnee«, weil er sich so sehr wünscht, ihn noch einmal zu sehen. Der Hafen ist dann ganz sauber, man sieht den Schmutz nicht, das Öl, den Rost, und welch eine Stille überkommt die Stadt, sogar die Straßenbahn vergisst, dass sie aus Eisen ist, und fährt geräuschlos vorbei wie ein O-Bus. »Und sogar ’e muntune ’e munnezza , die Müllhaufen, die sehen schön aus.« Und die Steineichen im Park der Villa Comunale haben weiße Käppchen auf, und ich denke: Was machen die Blinden bloß ohne das Weiß?
    P APA IST WEGGEGANGEN mit Wäsche zum Wechseln für Mama, er trägt sie in Papier eingewickelt unter dem Arm, ich mache die Lampe aus, bin allein, es ist kalt, ich drücke den Bumerang in meiner Hand und wärme mich. Natürlich erinnere ich mich an die Solfatara in Pozzuoli, Papa. Du hast mich eines Sonntags dorthin mitgenommen, ohne Mama, die starke Gerüche nicht verträgt und kein Parfüm benutzt. Mit der Straßenbahn bis nach Bagnoli, dann zu Fuß, ein feiner Regen fiel, Tropfen wie Stecknadelköpfe, sie kitzelten das ruhige Meer, den vom Teer verschimmelten Strand. Unter dem Schirm hielt ich mit dir Schritt, ich beeilte mich, achtete nicht auf das Wasser, machte mir die Füße nass. Schon vor dem Eingang war die Luft schwer vom Schwefel. Wir sind hineingegangen, Papa, du hast angefangen, die Tafel zu lesen, wo erklärt wurde, dass »die Solfatara eine Exaltation vulkanischer Gase ist«. Das richtige Wort war »Exhalation«, aber ich habe dich nicht verbessert. Wenn ein Vulkan stirbt, strömt als letzte Hitze das grüne Salz des Schwefels aus. Das ist die Farbe von Rafaniellos Augen. Wir erreichen den Krater, der sich in eine ebene Fläche gegraben hat, aus den Erdspalten steigt ein friedlicher Rauch auf. Ein Schlammloch kocht mit dicken Blasen, Papa schließt den Schirm, die Dämpfe der Solfatara halten den Regen ab, sie trocknen ihn in der Luft. Nur die Schuhe auf der Erde machen ein Geräusch. Ohne die Bewegung der Stadt um mich herum wird mir ein bisschen schwindelig.
    I CH SEHE EINEN SCHWARZEN Schmetterling, lese die Namen, die unter den Pflanzen geschrieben stehen, die in der Umgebung des Kraters wachsen: Lorbeer, Myrte, Erdbeerbaum. Bei einer Fumarole ziehe ich mir die Schuhe aus, lasse die Strümpfe trocknen, der Boden ist warm, er ist angenehm am Rücken. Ein Geruch nach Verbranntem kommt hinten von der Hose, ich merke zu spät, dass sie am Hintern verkohlt ist, Papa lacht, dann denkt er an Mama, die sie ausbessern muss, und hört auf. Wir gehen um den Krater herum, ich sammle kleine grüne Steine, mit denen man schreiben kann, so wie mit der Schulkreide. Ich glaube, ich habe sie immer noch, wenn ich sie wiederfinde, bringe ich sie Rafaniello, um zu sehen, wie sehr sie seinen Augen ähneln. Auf dem Rückweg kauft Papa ein Stück gekochtes Kalbsmaul. Mama isst es gern, damit bitten wir sie um Entschuldigung wegen der Hose. Dann steigen wir nach Montedidio hinauf, und Schüler von der Militärschule der Nunziatella kommen an uns vorbei, vergoldete Knöpfe an der Uniform, der Degen mit dem weißen Griff, der im Gürtel hängt. Inmitten der abgetragenen Kleider der Menge glänzt ihre Uniform, es sind Jungen, ein paar Jahre älter als ich, sie marschieren kerzengerade, ohne jemandem ins Gesicht zu sehen. Es muss schlimm sein, sich so sehr von den Menschen zu unterscheiden, ihren Blicken auszuweichen. Zu Hause sagt Mama nichts wegen der Hose und wegen des Kalbsmauls, keine Vorwürfe und kein Danke, wir sind quitt.
    R AFANIELLOS G ESICHT IST ZERKNITTERT , er hat nicht geschlafen, die Flügel haben die Hülle des Buckels durchstoßen. Sie ist zersprungen wie ein Ei, ohne Blut, die Jacke ist noch ausgebeulter als vorher. Er sagt,

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