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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erri De Luca
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Mein linkes Auge ist schlau, schnell, es begreift sofort, es ist neapolitanisch. Das rechte ist langsam, nichts kann es scharf sehen. Statt Wolken sieht es die Flocken, die der Matratzenmacher verstreut, wenn er auf der Straße über einem ausgebreiteten Bettlaken die Wolle kämmt und wendet und sie zu Flocken auseinanderzupft.
    I CH KOMME VON DER W ASCHKÜCHE zurück, trage die Wäsche im Korb, in der Dunkelheit auf der Treppe beobachtet jemand heimlich, wie ich vorbeigehe. Auch im Dunkeln spüre ich die Augen der anderen, denn wenn sie schauen, berühren sie mich, sie machen einen kleinen Luftzug, der unter einer Tür hindurchweht. Mir kommt der Gedanke, dass es Maria sein könnte. Das Haus ist alt, abends gehen Geister durch das Treppenhaus. So ohne einen Körper sehnen sie sich nur nach ihren Händen zurück und werfen sich auf die Menschen, weil sie etwas berühren möchten. Sie nehmen viel Anlauf, doch bei mir kommt nur ein Luftzug an, der mich streift. Jetzt, wo Sommer ist, fahren sie mir über das Gesicht, trocknen mir den Schweiß. In den alten Häusern fühlen sich die Geister wohl. Aber wenn jemand sagt, er habe sie gesehen, ist das gelogen, die Geister kann man nur berühren, wenn sie es wollen.
    M EISTER E RRICO HAT in seiner Werkstatt einen Schuhmacher untergebracht, der Don Rafaniello heißt, ich mache auch an seinem Platz sauber, um die kleine Werkbank herum und den Haufen Schuhe, die er flickt. Er ist nach dem Krieg aus irgendeinem Zipfel Europas nach Neapel gekommen. Er ist geradewegs nach Montedidio zu Meister Errico hinaufgestiegen und hat angefangen, den Ärmsten ihre Schuhe zu reparieren. Er macht sie wieder wie neu. Man nennt ihn Rafaniello, weil seine Haare rot und seine Augen grün sind, er ist klein und hat einen spitzen Buckel ganz oben auf dem Rücken. Kaum haben ihn die Leute in Neapel gesehen, haben sie ihm den Namen ravanello , Radieschen, verpasst. So ist er Don Rafaniello geworden. Nicht mal er selbst weiß, seit wie vielen Jahren er auf der Welt ist.
    K INDER VERSTEHEN DAS A LTER NICHT , für sie sind vierzig oder achtzig Jahre gleich schrecklich. Einmal habe ich im Treppenhaus gehört, wie Maria ihre Großmutter fragte, ob sie alt sei. Sie hat Nein geantwortet, da hat Maria gefragt, ob der Großvater alt sei, und die Großmutter hat Nein geantwortet. Also hat Maria gefragt: »Aber dann gibt es gar keine Alten?« und hat sich eine Ohrfeige eingefangen. Ich erkenne das Alter der Leute immer, nur bei Rafaniello nicht. Im Gesicht ist er hundert Jahre alt, an den Händen vierzig, an den Haaren zwanzig, ganz rot und buschig sind sie. Wie alt er in seinen Worten ist, weiß ich nicht, er spricht wenig, mit einer sehr leisen Stimme. Er singt in einer fremden Sprache, wenn ich seine Ecke ausfege, zeigt er mir ein Lächeln, und die Falten und Sommersprossen bewegen sich, es sieht aus wie das Meer, wenn es drauf regnet.
    E R IST EIN GUTER M ENSCH , Rafaniello, er flickt den Ärmsten die Schuhe und lässt sich nicht bezahlen. Manchmal kommt auch einer, der ein neues Paar will. Rafaniello nimmt Maß mit einem Stück Schnur, macht Knoten hinein, die nur er versteht, und fängt mit der Arbeit an. Der Mann kommt wieder, um sie anzuprobieren, und stellt fest, dass er nun Schuhe hat, die besser passen als Handschuhe. Rafaniello mag die Füße der Leute. Er tut keiner Fliege etwas zuleide, und keine Fliege stört ihn. Sie fliegen um ihn herum, aber sie setzen sich nicht auf ihn, obwohl es hier sehr viele gibt. Meister Errico dagegen schüttelt den Hals wie ein Kutschpferd, um sie sich vom Gesicht zu verscheuchen, während die Hände beschäftigt sind. Und er schnaubt auch wie ein Pferd. Ich schlage mit dem Lappen um ihn herum, und sie lassen ihn einen Augenblick lang in Ruhe.
    I CH TRAGE AUCH IM W INTER Sandalen, der Fuß wächst und kann ruhig ein bisschen vorstehen, ohne dass man ein neues Paar kaufen muss. Sie sind mir zu klein geworden, Rafaniello hat sie sich genommen, als ich gerade barfuß fegte, um sie nicht abzunutzen. Er hat es so gemacht, dass ich es nicht merke. Als ich mittags hineinschlüpfe, passen sie mir und sind so bequem, dass ich schon befürchte, ich hätte die falschen Sandalen angezogen. Ich habe ihn angeschaut, und er hat Ja, Ja mit dem Kopf gemacht. Ich sage »Danke Don Rafaniè«, er entgegnet: »Ohne Don«, aber Ihr seid doch ein guter Christenmensch, übt Nächstenliebe an den Füßen der Ärmsten, Ihr habt den Don verdient. »Nein, nein, der Don ist recht für die anderen,

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