Montgomery & Stapleton 04 - Der Experte
nicht verifizierten Geschichten abgesehen, nach denen im Zweiten Weltkrieg Reinhard Heydrich, einer von Hitlers Gefolgsleuten, bei einem Attentat mit Botulinustoxin getötet worden sein soll, habe ich noch nie davon gehört, daß der Stoff verwendet wurde, um einen Menschen absichtlich zu vergiften. Die Bakterienart ist nämlich äußerst schwierig zu handhaben. Es wäre also ziemlich vermessen, deinen Schwager weiter zu verdächtigen.«
»Mist!« fluchte Flash.
»Ich mache dir einen Vorschlag«, unterbreitete Jack ihm. »Wenn wir das nächste Mal in gegnerischen Mannschaften spielen, lassen Warren und ich dein Team gewinnen.«
Flash lachte halbherzig auf. »Jetzt mach mal halblang, Doc! So ehrgeizig, wie ihr beiden seid, laßt ihr euch doch niemals einen Sieg entgehen. Trotzdem – danke, daß du dich für mich ins Zeug gelegt hast. War wirklich nett von dir.«
»Hab’ ich doch gern gemacht«, entgegnete Jack. »Eine Frage habe ich aber noch: Wie heißt dein Schwager eigentlich?«
»Yuri«, erwiderte Flash voller Verachtung. »Warum willst du das wissen?«
»Ich werde ihn wohl anrufen müssen«, erklärte Jack. »Jetzt, wo wir wissen, daß Connie an Botulismus gestorben ist, ist er wahrscheinlich ebenfalls in Gefahr.«
»Das ist mir völlig egal«, knurrte Flash.
»Kann ich gut verstehen«, versicherte Jack. »Und als dein Freund ist es auch mir völlig egal, was mit diesem Yuri geschieht. Aber als Arzt sehe ich die Sache anders. Würdest du mir vielleicht seine Telefonnummer geben?«
»Muß das sein?« wand Flash sich.
»Sonst muß ich sie mir aus dem Telefonbuch suchen«, jammerte Jack. »Oder in Brooklyn anfragen. Einfacher wäre es, du würdest sie mir sagen.«
»Ich habe das dumme Gefühl, dem Mistkerl damit einen Gefallen zu tun«, grollte Flash und nannte Jack die Nummer. Jack schrieb sie auf. Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten darüber, ob sie am Abend spielen würden, und verabschiedeten sich.
Kaum war das Freizeichen zu hören, wählte Jack die Nummer in Brighton Beach. Während es am anderen Ende klingelte, überlegte er, was er sagen wollte. Er fragte sich, ob Yuri Davydov wohl mit Akzent sprach und ob er wirklich der Unmensch war, für den Flash ihn hielt. Doch er kam nicht durch. Die Leitung war besetzt.
Noch beschwingter und bestens gelaunt wandte er sich erneut seiner Schreibarbeit zu. Da er jetzt viel effizienter vorging, hatte er im Nu einen weiteren Fall erledigt. Er legte die Akte auf den Stapel ›Erledigt‹ und versuchte es ein zweites Mal in Brighton Beach. Es war immer noch besetzt. Das überraschte ihn allerdings nicht besonders. Nach dem Tod seiner Frau hatte der Mann bestimmt jede Menge Telefonate zu erledigen. Nachdem er im Laufe des Vormittags etliche weitere Male vergeblich sein Glück versucht hatte, verlor er schließlich die Geduld. Er wählte die Servicenummer der Telefongesellschaft und bat darum, Yuris Anschluß zu prüfen. Ein paar Minuten später rief die Servicestelle zurück und teilte ihm mit, daß auf der Leitung nicht gesprochen werde.
»Und was heißt das?« fragte Jack.
»Entweder hat jemand den Stecker herausgezogen, oder die Leitung ist defekt«, erklärte die Vermittlerin. »Wenn Sie wünschen, kann ich Sie mit der Reparaturstelle verbinden.«
»Das ist nicht nötig, danke«, sagte Jack, als ihm plötzlich klar wurde, daß Yuri wahrscheinlich zu Hause war und mit niemandem sprechen wollte. So verständlich es auch sein mochte, daß der Mann den Stecker herausgezogen hatte – Jack war frustriert, daß er nicht durchkam. An manchen Tagen ging wirklich gar nichts ohne Hindernisse. Dabei wollte er den Mann doch nur vor einer möglichen Botulismusinfektion warnen. Nachdem er den Fall erneut Dr. Sanders überantwortet hatte, konnte er im Grunde davon ausgehen, daß die Nebenstelle Brooklyn gemäß den Vorschriften die Nachbearbeitung vornehmen würde. Das bedeutete, daß sie sowohl das Gesundheitsamt als auch Jacks Erzfeind, den städtischen Epidemiologen Dr. Clint Abelard, in Kenntnis setzen würde. Obwohl Jack schon des öfteren zurechtgewiesen worden war, daß es einzig und allein Dr. Abelards Aufgabe war, sich um die Nachbereitung von Krankheitsausbrüchen zu kümmern – was natürlich auch die Kontaktaufnahme zu Yuri Davydov einschloß –, fühlte er sich als Arzt verpflichtet, den Witwer selbst zu informieren. Gedankenverloren spielte er mit der Telefonschnur und überlegte, was er tun sollte. Man konnte nicht unbedingt davon ausgehen,
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