Montgomery & Stapleton 04 - Der Experte
kurvenreichen Figur war nicht nur tatsächlich erschienen; sie hatte sich sogar dazu herabgelassen, sich nach dem Unterricht noch auf ein Joghurtfruchtgetränk einladen zu lassen. Jack mußte sich die gesamte Geschichte über die Dame anhören, bevor er selber zu Wort kam.
»Jetzt mal etwas anderes, Casanova«, wechselte Jack das Thema. »Hast du eine Ahnung, wie ich einen der Veterinäre erreiche, die gestern an der Konferenz teilgenommen haben?«
»Ich denke schon«, erwiderte Chet. »Warum?«
»Ich will wissen, ob sie schon herausgefunden haben, woran die Ratten verendet sind – oder wann sie mit einem Ergebnis rechnen. Außerdem interessiert mich, ob noch mehr mit Anthraxbakterien infizierte Ratten aufgetaucht sind.«
»Ich kümmere mich im Laufe des Tages darum«, versprach Chet.
»Das wäre nett«, entgegnete Jack und konzentrierte sich wieder auf die Arbeit, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte.
»Nimmst du heute keine Autopsien vor?« wunderte sich Chet.
»Nein«, erwiderte Jack, ohne aufzusehen. »Ich habe spontan einen Schreibtischtag beantragt.«
»Bist du krank?«
Jack lachte. »Die gleiche Frage hat mir George gestellt. Ich wünschte, ich hätte irgendwas. Dann hätte ich wenigstens eine Entschuldigung. Ich versuche nämlich gerade, wenigstens einen der Gründe aus dem Weg zu räumen, wegen denen die Institutsleitung mir ständig im Nacken sitzt: daß ich dauernd mit dem Abschluß meiner Fälle im Verzug bin.«
»Der Hauptgrund, weshalb du deine Fälle nicht schnell genug zum Abschluß bringst, ist doch, daß du dir von Anfang an zu viele aufbürdest«, stellte Chet klar.
»Ist ja auch egal«, murmelte Jack vor sich hin. Er hatte sich über das Mikroskop gebeugt und untersuchte einen Schnitt aus David Jeffersons Gehirn.
Nachdem Chet in den Sektionssaal gegangen war, schloß Jack die Tür. Er wollte sich nicht ständig von zufällig vorbeikommenden Kollegen bei der Arbeit stören lassen; doch irgendwie konnte er sich trotzdem nicht richtig konzentrieren. Seine Gedanken drehten sich um zu viele Dinge auf einmal, außerdem mußte er unwillkürlich immer wieder auf die Uhr sehen. Als es auf zehn Uhr zuging, wurde er zusehends nervöser. Er rechnete jeden Augenblick damit, daß das Telefon klingelte und Cheryl ihm die übliche Nachricht überbrachte, daß der Chef ihn SOFORT in seinem Büro zu sehen wünschte. Schließlich hatten sowohl Dr. Jim Bennett von der Nebenstelle Brooklyn als auch Mr. Strickland vom Bestattungsinstitut inzwischen ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, sich telefonisch über ihn zu beschweren.
Um Punkt zehn klingelte prompt das Telefon. Obwohl er das Unheil vorausgesehen hatte, ging ihm das schrille Geklingel unter die Haut. Er ließ es ein paarmal bimmeln und überlegte, ob er sich einfach taub stellen sollte. Schließlich rang er sich dazu durch, sich dem Unvermeidlichen zu fügen, und nahm den Hörer ab. Zu seinem Erstaunen meldete sich nicht Cheryl, sondern Peter Letterman.
»Ich habe eine Überraschung für Sie«, leitete er ein.
»Erfreulich oder unangenehm?« fragte Jack.
»Ich schätze, Sie werden sich freuen«, erwiderte Peter. »Connie Davydov hatte definitiv keine Methämoglobinvergiftung; dafür habe ich in allen Proben, die Sie mir gegeben haben, Botulinustoxin gefunden, sogar in ihrem Mageninhalt.«
»Das gibt’s doch gar nicht!« rief Jack aus. »Nehmen Sie mich auf den Arm?«
»Nein«, versicherte Peter. »Um auf Nummer Sicher zu gehen, habe ich etliche Tests sogar zweimal durchgeführt. Die Ergebnisse waren durchweg positiv. Vermutlich hat das Opfer also eine ziemlich hohe Dosis abgekriegt. Als nächstes nehme ich eine quantitative Bestimmung vor, aber das dürfte eine Weile dauern. Ich wollte Ihnen nur vorab schon mal mitteilen, daß die Proben definitiv Botulinustoxin enthalten.«
Jack bedankte sich aufrichtig. »Sie haben mir wirklich geholfen.«
»Gern geschehen«, entgegnete Peter und beendete das Gespräch.
Nachdenklich legte Jack den Hörer auf. Er war völlig durcheinander. Einerseits machte sich eine Art Hochstimmung in ihm breit, weil seine Vermutung sich bestätigt hatte: Connie Davydov war tatsächlich an einem Gift gestorben. Andererseits war er jedoch zutiefst geschockt. Mit Botulismus hatte er am wenigsten gerechnet.
Er rollte mit seinem Stuhl schwungvoll nach hinten und sprang hoch. Dann eilte er durch die Tür und steuerte entschlossen auf Lauries Büro zu. Sie sollte die Neuigkeit als erste erfahren; schließlich
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