Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
ihren Mut zusammenzunehmen und fortzufahren.
»Was hat Cal Morgan von dir verlangt, als Gegenleistung dafür, dass er dich aus den Klauen deines Vaters befreit?«, fragte Jennifer. Je mehr Zeit verging, desto nervöser wurde sie. Sie begann sich vor dem, was sie gleich erfahren würde, zu fürchten.
»Er wollte, dass ich Maria Hernandez umbringe. Ich habe deine Großmutter getötet.«
Jennifer zuckte zum zweiten Mal heftig zusammen, aber dieses Mal war es ein gewaltiger Zornesblitz. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte sie aufspringen und die Frau, die da vor ihr saß, zu Tode würgen. Sie hatte recht gehabt! Da saß die Verbrecherin, die ihrer Granny das Leben genommen hatte, nur eine Armlänge von ihr entfernt! Doch dann wurde sie etwas versöhnlicher. Da saß eine junge Frau, die in der vielleicht schlimmsten Zwickmühle steckte, die Jennifer sich ausmalen konnte, zumal sie selbst eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. Nur hatte sie keine Möglichkeit gehabt, sich davon zu befreien.
Sie holte ein paar Mal tief Luft, um sich wieder etwas besser in den Griff zu bekommen. »Warum hast du mich heute Abend da rausgeholt? Schuldgefühle?«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja«, gestand Veena. »Ich habe bereut, was ich deiner Großmutter angetan habe. Ich habe sogar versucht, mich umzubringen, aber Cal Morgan hat mich rechtzeitig gefunden.«
»Ernst gemeint oder bloß symbolisch?«, wollte Jennifer wenig mitfühlend und mit einer gewissen Skepsis wissen.
»Sehr ernst gemeint«, erwiderte Veena. »Aber da ich überlebt habe, dachte ich, dass die Götter versöhnt sind. Trotzdem war mir überhaupt nicht wohl bei alledem, und ich wollte, dass Cal und die anderen aufhören. Aber dann haben sie mich zu dir gebracht, und ich wusste, dass sie dich wahrscheinlich auch beiseiteschaffen wollen. Das war zu viel. Diese Leute haben überhaupt keine Moral. Sie bringen zwar selbst niemanden um, aber sie haben überhaupt keine Skrupel, andere damit zu beauftragen. Sie denken nur an ihren eigenen Vorteil.«
»Da du mir dein Geheimnis verraten hast, verrate ich dir auch meines«, sagte Jennifer unvermittelt. »Ich bin auch von meinem Vater missbraucht worden. Es hat angefangen, als ich sechs war. Absolut verstörend.«
»Für mich auch«, erwiderte Veena. »Ich hatte immer Schuldgefühle deswegen. Manchmal habe ich sogar gedacht, dass ich selbst damit angefangen habe.«
»Ich auch«, meinte Jennifer zustimmend. »Aber als ich ungefähr neun Jahre alt war, ist mir plötzlich klar geworden, dass er sich absolut verwerflich verhalten hat, und ich habe meinen Vater aus meinem Leben verbannt. Ich schätze mal, da habe ich Glück gehabt. Für mich gab es keine kulturellen Fesseln, die mich dazu gezwungen hätten, ihn zu respektieren, ganz egal, was er macht. Und ich musste mir auch keine Sorgen um meine Schwestern machen. Das muss eine unglaubliche Belastung sein. Schrecklich. Schlimmer noch. Absolut unvorstellbar.«
»Es war schrecklich«, bestätigte Veena. »Als Teenager habe ich schon einmal versucht, mich umzubringen, aber da war es sehr viel eher ein Hilferuf als dieses Mal. Ich wollte, dass sich jemand um mich kümmert, aber das hat nicht geklappt.«
»Du armes Ding«, sagte Jennifer aufrichtig. »Mir ist es auch immer schlecht gegangen. Ich dachte immer, mein Vater hat mich für immer und ewig ruiniert, und mich will bestimmt niemand haben, aber an Selbstmord habe ich nie gedacht.«
Es dauerte noch eine gute Stunde, bis der Himmel im Osten sich langsam verfärbte, doch Jennifer und Veena bekamen nichts davon mit. Erst als die Sonne tatsächlich aufging, wurde ihnen bewusst, dass sie einander klar und deutlich erkennen konnten. Sie hatten zwei Stunden lang ohne Unterbrechung geredet.
Sie verließen den Unterschlupf, schauten einander ins Gesicht und mussten, trotz der immer noch aktuellen Bedrohung durch Cal & Konsorten, erst einmal lachten. Mit den zerzausten Haaren und den dreckverschmierten Gesichtern sahen sie aus wie Dschungelkämpfer. Aber vor allem boten sie alle beide einen ziemlich ramponierten Anblick. »Du siehst aus wie nach einer Schlammschlacht«, meinte Jennifer, da Veenas Kleidung genauso dreckig war wie ihr Gesicht. Dann langte sie noch einmal in den Unterschlupf, holte den Bademantel heraus und schüttelte ihn aus. Er sah genauso schlimm aus wie Veenas Sachen.
Auf dem Rückweg durch die Kolonie kamen vereinzelte Bewohner aus ihren baufälligen, instabilen Unterschlüpfen hervor – Mütter mit ihren
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