Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
klopfendem Herzen warteten sie auf den nächsten Schrei. Mit zittriger Hand leuchtete Melanie die Gegend ab, aus der das Rumoren gekommen war. Es war mucksmäuschenstill. Nicht einmal ein Blättchen raschelte im Wind. Es vergingen zehn Sekunden, die ihnen wie zehn Minuten vorkamen. Sie spitzten angestrengt die Ohren, um auch das leiseste Geräusch wahrzunehmen. Doch es herrschte absolute Stille. Sogar die Nachttiere waren verstummt. Es war, als ob der ganze Dschungel auf eine drohende Katastrophe wartete und den Atem anhielt.
»Was, um Himmels willen, war das?« fragte Melanie schließlich.
»Ich will es lieber gar nicht wissen«, erwiderte Candace. »Machen wir uns am besten so schnell wie möglich aus dem Staub!«
»Es müssen ein paar Bonobos gewesen sein«, sagte Kevin und hob das Seil wieder auf. Das Floß wogte in der Mitte des Flusses, und er zog es so schnell wie möglich heran.
»Ich glaube, Candace hat recht«, meldete sich Melanie zu Wort. »Es ist sowieso zu dunkel. Selbst wenn sie jetzt kämen, könnten wir nicht viel erkennen. Außerdem wird es langsam unheimlich hier draußen. Gehen wir lieber zurück!«
»Das müßt ihr mir nicht zweimal sagen«, entgegnete Kevin und ging zu den beiden Frauen hinüber. »Ich weiß sowieso nicht, was wir um diese Uhrzeit hier draußen verloren haben. Versuchen wir’s lieber noch einmal bei Tageslicht!«
Sie hasteten so schnell wie möglich den Pfad entlang, der zurück auf die Lichtung führte. Melanie lief voran und leuchtete ihnen den Weg. Candace folgte ihr, die Hände in Melanies Bluse gekrallt. Kevin bildete das Schlußlicht.
»Am besten würden wir uns den Schlüssel für diese Brücke besorgen«, sagte Kevin, als sie an dem garagenartigen Gebäude vorbeikamen.
»Und wie stellst du dir das vor?« fragte Melanie.
»Wir leihen uns den Schlüssel von Bertram aus«, erwiderte Kevin.
»Aber du hast uns doch erzählt, daß er es niemandem gestattet, die Insel zu betreten«, entgegnete Melanie. »Da wird er dir bestimmt nicht seinen Schlüssel aushändigen.«
»Dann müssen wir uns den Schlüssel eben ohne sein Wissen ausleihen«, erklärte Kevin.
»Klar«, entgegnete Melanie sarkastisch. »Nichts einfacher als das.«
Sie hatten jetzt das tunnelartige Wegstück erreicht, von dem aus es nicht mehr weit bis zum Auto war. »Mein Gott, ist es hier dunkel«, sagte Melanie auf halber Strecke. »Halte ich die Lampe überhaupt so, daß ihr etwas sehen könnt?«
»Für mich ist es okay«, erwiderte Candace. Plötzlich blieb Melanie stehen.
»Was ist los?« fragte Kevin.
»Irgend etwas stimmt hier nicht«, erwiderte sie und legte den Kopf ein wenig zur Seite. Sie lauschte angestrengt in alle Richtungen.
»Macht mir bitte nicht noch mehr Angst!« flehte Candace.
»Die Frösche und Grillen sind immer noch ganz still«, stellte Melanie fest.
Im nächsten Augenblick brach plötzlich die Hölle los. Ein lautes, sich dauernd wiederholendes, stotterndes Knattern toste durch die Stille des Regenwaldes. Äste, Zweige und Blätter regneten auf die drei herab. Kevin wußte als erster, was der Lärm zu bedeuten hatte, und reagierte instinktiv. Er warf sich buchstäblich auf die beiden Frauen und riß sie mit sich nach unten auf den feuchten, von Insekten wimmelnden Boden. Er hatte das Geknatter sofort wiedererkannt: Versehentlich war er einmal Zeuge einer Übung der äquatorialguinesischen Soldaten geworden. Deshalb hatte er keinen Zweifel: Was sie gehört hatten, waren eindeutig Maschinengewehrsalven.
Kapitel 10
5. März 1997, 14.15 Uhr
New York City
Entschuldigen Sie bitte die Störung, Laurie«, sagte Cheryl Myers. Er stand in der Tür von Lauries Büro. Cheryl war einer der Pathologie-Assistenten. »Dieses Päckchen hier ist gerade bei uns abgegeben worden. Es ist per Overnight-Kurier gekommen, und ich dachte, Sie warten vielleicht dringend darauf.«
Laurie stand auf, nahm das Päckchen entgegen und versuchte neugierig, den Aufkleber mit dem Namen des Absenders zu entziffern. Es war von CNN aufgegeben worden.
»Danke, Cheryl«, sagte Laurie. Sie war etwas verwirrt, denn sie konnte sich im ersten Augenblick nicht erklären, was CNN ihr da wohl zugeschickt haben mochte.
»Wie ich sehe, ist Dr. Mehta nicht da«, fuhr Cheryl fort. »Ich habe hier ein Diagramm vom University Hospital, das an sie adressiert ist. Soll ich es auf ihren Tisch legen?« Dr. Riva Mehta war die Kollegin, mit der sich Laurie das Büro teilte, seitdem sie beide vor sechseinhalb Jahren
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