Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
sagte Jack, während er an Alexis’ Argumente dachte, die gegen Jordans Täterschaft sprachen, »aber im Großen und Ganzen stimme ich Ihnen zu, so banal und korrupt das auch klingen mag.«
»Wann werden Sie hier sein?«
»So schnell ich kann. Ich bin gleich auf der Neun. Das können Sie wahrscheinlich besser abschätzen als ich. Warum fangen Sie nicht schon an zu essen, solange die Pizza noch heiß ist.«
»Ich warte auf Sie«, entgegnete Latasha. »Ich habe angefangen, mir die Zeit zu vertreiben, indem ich uns ein paar Gefrierschnitte des Herzens vorbereite.«
»Ich glaube kaum, dass ich viel essen werde«, sagte Jack. »Ich bin total aufgedreht. Ich fühle mich, als hätte ich zehn Tassen Kaffee getrunken.«
Als Jack sein Handy zuklappte, sah er auf die Uhr. Es war fast halb elf, was bedeutete, dass Latashas Freund bald im toxikologischen Labor eintreffen würde. Jack hoffte, dass er nicht allzu viel zu tun haben würde, denn er konnte sich vorstellen, dass er ihn für einen Großteil der Nacht in Beschlag nehmen würde. Jack machte sich keine falschen Hoffnungen hinsichtlich der unbegrenzten Möglichkeiten der Toxikologie, einzelne Gifte aufzuspüren. Das Ganze war nicht so einfach, wie es häufig in den Massenmedien dargestellt wurde. Hohe Konzentrationen der üblichen Drogen waren normalerweise kein Problem, aber der Nachweis von Spuren hochgiftiger tödlicher Substanzen, die einen Menschen in sehr geringer Dosierung umbringen konnten, glich der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Jack hielt an einer Ampel und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. Die warme, milde, feuchte Juniluft wehte durch das fehlende Fenster herein. Er war froh darüber, dass er sich die Zeit genommen hatte, im Krankenhaus vorbeizufahren, auch wenn ihm sein Verdacht, man könnte dort versucht haben, einen Fehler zu vertuschen, inzwischen peinlich war. Trotzdem war es letztendlich dieser Gedanke gewesen, der indirekt dazu geführt hatte, dass er sich inzwischen fragte, ob Patience Stanhope tatsächlich einen Herzinfarkt erlitten hatte.
Die Ampel sprang auf Grün, und er fuhr los. Das Problem war, dass sie trotzdem einen Herzinfarkt gehabt haben könnte. Wayne hatte zugegeben, dass selbst bei seinem hoch gelobten Analysegerät die Fehlerquote bei negativen Testergebnissen höher lag als bei positiven. Jack seufzte. Nichts an diesem Fall war einfach und unkompliziert. Patience Stanhope erwies sich selbst im Tod noch als eine Problempatientin, was ihn an einen seiner Lieblings-Anwaltswitze erinnerte: Was ist der Unterschied zwischen einer Prostituierten und einem Anwalt? Die Prostituierte reißt nicht noch einem Toten das letzte Hemd vom Leib. Aus Jacks Sicht entwickelte Patience ein paar ärgerliche Anwaltsqualitäten.
Während der Fahrt dachte er über sein Versprechen nach, kurz nach Craig zu schauen, der um diese Zeit wahrscheinlich schon seinen Alkohol-Medikamenten-Cocktail genommen hatte und tief und traumlos schlief. Jack war nicht gerade begeistert von der Idee und hielt es für überflüssig, da Craig seiner Einschätzung nach keineswegs suizidgefährdet war. Außerdem war er ein intelligenter Arzt und wusste dementsprechend um die starke Wirkung der Mischung, die er da einnahm. Andererseits würde dieser Besuch Jack die Gelegenheit geben, nachzuschauen, welche Art von Biomarker-Schnelltest Craig verwendet hatte und ob dessen Verfallsdatum vielleicht schon überschritten gewesen war. Solange er nicht über diese Information verfügte, konnte er keine vernünftige Entscheidung darüber treffen, ob es womöglich eine erhöhte Chance für ein falsches positives Ergebnis gab.
Kapitel 21
Boston, Massachusetts
Freitag, 9. Juni 2006
01.30 Uhr
F ast fünf Minuten lang hatte Jack die Zeiger der schlichten Wanduhr beobachtet, die unerbittlich auf halb zwei zusprangen. Beim letzten Satz des Minutenzeigers atmete Jack ein. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er während der letzten Sekunden die Luft angehalten hatte, denn diese Uhrzeit stellte einen winzigen Meilenstein dar. In exakt zwölf Stunden würde er verheiratet sein. Es erschien ihm unvorstellbar. Abgesehen von der jüngsten Vergangenheit, hatte er das Alleinsein praktisch institutionalisiert. War er überhaupt fähig zur Ehe, fähig, an zwei Menschen zu denken statt an einen alleine? Er wusste es wirklich nicht.
»Alles okay bei Ihnen?«, fragte Latasha und riss Jack zurück in die Wirklichkeit, indem sie die Hand ausstreckte und
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