Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
Einspruch angebracht wäre. Er sollte eine Weile über die Konsequenzen einer Frage nachdenken, bevor er sie beantwortete, und darauf achten, dass er nichts sagte, wonach nicht gefragt worden war. Außerdem durfte er nicht arrogant wirken und sich nicht in einen Streit verwickeln lassen. Er hatte erklärt, konkretere Anweisungen könne er ihm nicht geben, da er Tony Fasano noch nie vor Gericht gegenübergestanden habe, hauptsächlich deshalb, weil dies offensichtlich Tonys erster Ausflug von seinem eigentlichen Fachgebiet, der Körperverletzung, in den Arzthaftungsbereich war.
Craigs Befragung hatte in Randolphs vornehmer Kanzlei in der State Street 50 mit ihrem überwältigenden Ausblick über den Hafen stattgefunden. Anfangs war Tony ganz umgänglich gewesen, nicht unbedingt liebenswürdig, aber auch nicht provozierend. Er war der Spielplatzclown. Beharrlich hatte er sogar abseits des Protokolls ein paar Witze gerissen, obwohl nur die Protokollführerin vom Gericht darüber gekichert hatte. Doch schon bald war der Clown verschwunden und hatte dem Rüpel Platz gemacht. Als er anfing, Craig härter zuzusetzen, und ihn mit Beschuldigungen überhäufte, indem er sich in demütigender Detailfreude über sein berufliches und privates Leben ausließ, begann Craigs schwache Verteidigung zu bröckeln. Randolph erhob Einspruch, sooft er konnte, und versuchte sogar mehrmals, eine Pause anzuregen, aber Craig war an einem Punkt angelangt, an dem er nichts mehr davon hören wollte. Obwohl Randolph ihn davor gewarnt hatte, wütend zu werden, war er wütend geworden und dann hatte er all das getan, wovon sein Anwalt ihm abgeraten hatte. Zum schlimmsten Wortgefecht kam es am frühen Nachmittag des zweiten Tages. Zwar hatte Randolph Craig während des Mittagessens erneut davor gewarnt, die Beherrschung zu verlieren, und Craig hatte versprochen, seinem Rat zu folgen, doch unter dem Ansturm von Tonys absurden Beschuldigungen tappte er rasch wieder in die gleiche Falle.
»Moment mal!«, hatte Craig gefaucht. »Lassen Sie mich Ihnen eines sagen.«
»Bitte«, hatte Tony erwidert. »Ich bin ganz Ohr.«
»Ich habe in meinem Berufsleben durchaus schon Fehler gemacht. Alle Ärzte haben das. Aber Patience Stanhope gehörte nicht dazu! Auf gar keinen Fall!«
»Tatsächlich?«, hatte Tony herablassend gefragt. »Was meinen Sie denn mit ›Fehler‹?«
»Ich halte es für sinnvoll, jetzt eine Pause zu machen«, hatte Randolph einzuschreiten versucht.
»Ich brauche keine gottverdammte Pause«, hatte Craig gebrüllt. »Ich will, dass dieses Arschloch hier nur eine Sekunde lang versteht, was es bedeutet, Arzt zu sein: derjenige draußen an der Front, in den Schützengräben bei den Kranken und auch bei den Hypochondern.«
»Aber wir sind nicht dazu da, Mr Fasano zu belehren«, hatte Randolph gesagt. »Es ist vollkommen gleichgültig, was er glaubt.«
»Ein Fehler ist es, wenn Sie eine Dummheit begehen«, hatte Craig, Randolph ignorierend, erklärt und sich vorgebeugt, um sein Gesicht näher an das von Tony heranzubringen, »etwa eine Untersuchung abkürzen, wenn Sie völlig erledigt sind und draußen noch zehn andere Patienten warten, oder vergessen, einen bestimmten Test anzuordnen, obwohl er indiziert ist, weil Ihnen ein dringender Notfall dazwischenkommt.«
»Oder einen albernen Hausbesuch machen, statt eine schwerkranke Patientin, die kaum noch Luft kriegte, im Krankenhaus zu treffen, um danach noch rechtzeitig in die Symphony Hall zu kommen?«
Das Geräusch der zuschlagenden Tür der Herrentoilette brachte Craig zurück in die Gegenwart. In der Hoffnung, dass sich sein Darm den restlichen Morgen über still verhalten würde, sah er zu, dass er fertig wurde, zog sein Jackett an und verließ die Kabine, um sich die Hände zu waschen. Dabei betrachtete er sich im Spiegel. Beim Anblick seines Gesichts zuckte er zusammen. Er sah inzwischen deutlich schlechter aus als zu der Zeit, bevor er in den Fitness-Club gegangen war, und jetzt, wo der Prozess gerade begonnen hatte, sah er in der nahen Zukunft wenig Aussichten auf Besserung. Es würde eine lange, nervenaufreibende Woche werden, vor allem wenn er seinen katastrophalen Auftritt bei der eidlichen Befragung in Betracht zog. Unmittelbar nach dem Debakel hatte er, auch ohne dass Randolph ihn darauf ansprach, gewusst, wie erbärmlich er sich angestellt hatte, und Randolph war so gnädig gewesen, lediglich anzudeuten, dass sie vor seiner Aussage vor Gericht noch etwas üben sollten. Ehe
Weitere Kostenlose Bücher