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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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das Tor rollen, als sei der Streifenwagen ein schlummerndes Ungetüm, das er nicht unbedingt stören wollte. Er hielt neben ihm. Der Wagen war leer. Oder?
    Warum dann der Drang, den eigenen Wagen zu verlassen und durch das Fenster ins Innere des anderen zu schauen? Und warum der ebenso starke Drang, den Mietwagen zu wenden und so schnell wie irgend möglich zu verschwinden - weg von hier, nichts wie weg von diesem abweisenden, verschwommenen Gelände und diesen alles beherrschenden massigen, sich kaum bewegenden Wolkenbergen.
    Warum wohl? wisperte eine leise, spöttische Stimme irgendwo außerhalb seiner bewußten Wahrnehmung.
    Die silbrigen Muster der Wolkenränder durchzogen den schwarzen Himmel wie erstarrte Blitze. Vom Meer wehte ein kühler Lufthauch herüber und bewegte Blätter und Zweige. Die Scheinwerfer bohrten einen Tunnel in Richtung der hohen, wuchtigen Gebäude. Childes wußte
    - wußte ohne jeden Zweifel -, daß er in den Streifenwagen hineinschauen und dann zur Schule hinauffahren würde, als ob es für ihn bereits festgelegt worden sei. Noch war er Herr seines Willens, und genaugenommen konnte er auch jederzeit bestimmen, wie er vorgehen wollte, aber sein Schicksal - sein ihm eigenes Schicksal
    - war vorherbestimmt. Er würde sich ihm stellen, aber er würde sich nicht unterwerfen. Er betete, daß er sich nicht unterwerfen würde.
    Childes stieg aus, umrundete die Motorhaube des Renault und ging zu dem anderen Wagen hinüber. Er blickte durch das offene Fenster.
    Der Polizist war vom Fahrersitz heruntergerutscht und seine Knie ragten hoch empor, fast bis ans Lenkrad. Für einen furchtbar komischen Moment glaubte Childes felsenfest, der Mann sei nur eingeschlafen - aber da war dieser schwarze Fleck, der sich unter seinem Kinn ausbreitete... dieser schwarze Fleck, der auf dem hellen Hemd wie ein Kinderlätzchen wirkte. Childes griff durch das Fenster hinein und stieß den Polizisten an, darauf bedacht, die glitschige Feuchtigkeit nicht zu berühren, die noch immer herabsickerte. Es erfolgte keine Reaktion, und er hatte das gewußt. Er zog die Tür auf,
    gerade weit genug, um die Innenbeleuchtung anzustellen.
    Das Kinn des Uniformierten war auf die Brust hinabgesunken, so daß man die Halswunde nicht sehen konnte. Für einen Polizisten war er recht schwerfällig, und das Deckenlicht warf eine glänzende Helligkeit über seinen kahlwerdenden Kopf. Seine Augen waren nur zum Teil geschlossen, als schaue er nach unten, um das eigenartige Rot zu betrachten, das sein Hemd verklebte. Seine Hände ruhten lässig und mit entspannten Fingern neben ihm. Alles wies darauf hin, daß der Tod viel zu schnell gekommen war. Es hatte keinen Kampf gegeben. Er schien sich nur auszuruhen.
    Childes drückte die Tür wieder zu. Das leise Geräusch, das dabei entstand, hätte genausogut von einem sich schließenden Sargdeckel stammen können. Er lehnte sich gegen das Wagendach, senkte den Kopf auf die Unterarme. Der Mann war ahnungslos gewesen; er hatte ganz gemütlich die Schule bewacht, mit heruntergekurbeltem Seitenfenster. Extreme Gewalt war ihm in seiner Beamtenlaufbahn auf der Insel nur selten begegnet. Vielleicht hatte er das Fenster heruntergedreht, um ganz sicher sein zu können, daß er auch bestimmt alle verdächtigen Geräusche hörte. Und wahrscheinlich hatte sich seine Aufmerksamkeit ganz auf den Gebäudekomplex vor ihm oder auf das umliegende Unterholz konzentriert. Die Straße hinter sich hatte er wohl nicht beachtet. Ein Messer, vielleicht ein Rasiermesser, jedenfalls aber eine scharfe Stahlklinge, war lautlos durch das Seitenfenster gestoßen worden und hatte ihm die Kehle zerfetzt. Die ganze Bewegung mochte kaum mehr als zwei, höchstens drei Sekunden gedauert haben. Hätte der Polizist aufgeschrien, so wäre nicht mehr als ein ersticktes Gurgeln zu hören gewesen - mehr hätte diese Wunde niemals zuge-lassen.
    Es war hier. In der Schule. Das Etwas, das er nur als Mond kannte.
    Der Gedanke setzte sich wie ein Stein in seinem Magen fest, und seine Lungenwände schienen zu gefrieren und kaum noch Luft pumpen zu können. Childes hob den Kopf und schaute die lange Auffahrt hinauf, deren Kiesoberfläche von der Helligkeit nachgezeichnet wurde. Die Gebäude wuchsen schauerlich und finster empor. Düster.
    Das gequälte Stöhnen war direkt in seinem Kopf - aber dort war es nicht entstanden. Es gehörte zu jemand hinter den Türen des höchsten, grauen Gebäudes, Jemand hinter diesen massiven Mauern war zu Tode

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