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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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sie dann in großer Zahl eintrafen und keinerlei Spur von einem Eindringling fanden - was dann? Gehobene Augenbrauen, herablassendes Lächeln? Spöttisches Lachen auf der Rückfahrt?
    Diese Überlegung sorgte endgültig wieder dafür, daß sie sich straffte; ihr Rücken wurde gerade, ihr Gesicht war wieder in feste Linien gefaßt. Sie würde sich nicht zum Gespött der Leute machen - nicht mit ihren
    Vorahnungen. Miss Piprelly schritt auf die Tür zu. Sie würde höchstpersönlich nachsehen, und wenn sie auch nur den   geringsten   Hinweis darauf fand, daß irgend etwas nicht stimmte, nun, dann würde sie augenblicklich die Polizei-Hauptwache anrufen. Beim winzigsten Hinweis...
    Für einen Augenblick geriet ihr Entschluß ins Wanken, als sie die Tür öffnete und die Angst sie gleich einer Skeletthand aus dem Dunkel berührte.

Childes erwachte.
    Da war kein Alptraum gewesen, keine sich jagenden Dämonen, kein Horror, nichts, was ihn hätte aus dem Schlaf reißen können. Seine Augen hatten sich einfach geöffnet, und er war wach.
    Er lag in der Dunkelheit und lauschte in die Nacht hinein. Nichts, was ihn gestört hätte. Nur der Wind, eine sanfte Brise, ein harmloses Raunen der Luft.
    Dennoch richtete er sich auf, nackt und fröstelnd, und blieb am Bettrand sitzen - verunsichert von der kribbelnden Erwartung, die an ihm zerrte. Die Konturen des nächstgelegenen Fensters zeichneten sich als graue Flecken im Schwarz ab. Zarte Muster bewegten sich im Rahmen: ausgefranste Wolkenränder.
    Childes tastete auf das Nachttischchen hinüber, fand seine Brille, setzte sie auf und ging ans Fenster.
    Seine Hände umklammerten das Fensterbrett. Etwas Kaltes und Bösartiges packte seine Brust mit gierigen Klauen.
    In der Ferne, über den Klippen, leuchtete das La Roche-College in hellem Rot.
    Anders als damals gab es jetzt keine untergehende Sonne, die die Schulgebäude rot färbte. Dieses Mal waren es Flammen, und sie flatterten aus Fenstern und über die Mauern und leckten in den bewölkten Himmel hinein.

Estelle Piprellys Schritte hallten ungewöhnlich laut im Treppenhaus und in den Korridoren wider, und je weiter sie hinabschritt, desto intensiver wurde der ungewöhnliche Geruch, der ihr entgegen wehte. Ein ungewöhnlicher Geruch allein deshalb, da er nicht zu den normalen Gerüchen der Schule gehörte - zu dem Geruch von altersgereiftem Holz, Politur und dem allgegenwärtigen, jedoch feinen Hauch vergänglicher menschlicher Körper. Dem Leben selbst.
    Dies hier war kein Teil dieser allgemeinen Struktur.
    Sie hielt inne, eine Hand ruhte auf dem massiven Treppengeländer. Sie lauschte in eine Stille, die eher unheilverkündend als friedlich war. Noch war dieser Geruch vage, leicht und widerlich - er erinnerte sie an ein Nebengebäude auf dem Schulgelände, in welchem Gartengerätschaften aufbewahrt wurden. Ein kleines, baufälliges Ziegelsteingebäude voller Werkzeuge, Rasenmäher, Heckenscheren und dergleichen; dort roch es stets nach Erdreich, Öl und... Benzin.
    Jetzt, da sie die Quelle dieses Geruchs kannte, stieg ihre Beunruhigung um ein Zehnfaches, denn dies war lediglich ein Vorläufer, eine Andeutung darauf, daß ihre intuitive Furcht möglicherweise überhaupt nicht unbegründet war. Sie verspürte den unbändigen Wunsch, zurückzugehen, die Treppe zum obersten Stockwerk emporzueilen - dorthin, wo ihre Schützlinge schliefen -und die Mädchen zu wecken und sie von diesem unsicheren Ort wegzuführen. Doch ein anderer Impuls war stärker als dieser folgerichtige Gedanke. Eine unwiderstehliche Kraft lockte sie nach unten.
    Neugier, argumentierten ihre vernunftgemäßen Gedanken. Sie hatte das Bedürfnis, ihre Verdachtsmomente zu untermauern; niemand sollte sie beschuldigen können, blinden Alarm zu schlagen. Doch da war noch eine Stimme, kaum hörbar, fast ein Wispern, tief, tief in ihrem Bewußtsein - eine Stimme, die es anders auslegte. Diese Stimme sprach von einem morbiden Zwang, dem Gespenst gegenübertreten zu wollen, welches sie beständig in den Gesichtern derer heimgesucht hatte, die zum Sterben verurteilt waren.
    Sie ging weiter - hinab, in die Tiefe.
    Auf der letzten Stufe, dort, wo der Flur breiter wurde und sich nach rechts und links erstreckte, blieb Miss Pip-relly noch einmal stehen und schnupperte und rümpfte die Nase über die jetzt sehr starken Dämpfe. Die Dielen waren feucht; eine rutschige Nässe überzog sie. Aus dem Treppenhaus kam fahler Lichtschein, so daß die hinteren Bereiche der Korridore

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