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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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kleine Plastikflasche und den Behälter für seine Kontaktlinsen heraus, schloß die Tür des Schränkchens und sah sich seinem Spiegelbild gegenüber. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er hatte den Eindruck, daß seine Haut eine unnatürliche Blässe angenommen habe. Wieder Einbildung, sagte er sich. Dummerweise hatte er sich diese krankhafte Innenschau gestattet, und, purer Wahnsinn, er hatte zugelassen, daß etwas ganz anderes daraus wurde. Ein Rückfall nämlich, eine verzögerte Reaktion auf etwas Vergangenes, und das war alles. Die Vision... er war wohl einfach zu lange unter Wasser geblieben; er hatte beinahe zu spät erkannt, daß er keine Luft mehr in den Lungen gehabt hatte. Möglich, daß der Sauerstoffmangel die Phantombilder hervorgerufen hatte. Der Alptraum hinterher war... war nur ein Alptraum gewesen, ohne besondere Bedeutung. Er maß einem unangenehmen, aber unwichtigen Erlebnis viel zuviel Bedeutung zu, und vielleicht war das sogar verständlich - die Erinnerung an damals leiteten seine Gedanken. Vergiß es! Die Dinge hatten sich geändert, sein Leben hatte sich geändert.
    Er brachte sein Gesicht ganz nahe an den Spiegel heran, entfernte die Kontaktlinse ganz vorsichtig aus dem rechten Auge, reinigte sie in der Handfläche und ließ sie in ihren mit Flüssigkeit gefüllten Behälter fallen. Er wiederholte die Prozedur mit der linken Linse.
    Draußen im Flur griff er in seine Aktentasche und holte die Brille heraus, und die Reizung in seinen Augen wich bereits dem Gefühl der Erleichterung. Er wollte gerade in die Küche gehen und nachsehen, mit welchem Mittagessen er morgen aufwarten konnte - da hörte er das leise Poltern. Es kam von oben. Er stoppte abrupt. Er hielt den Atem an und starrte die schmale Treppe hinauf, die er nur bis zur ersten Biegung einsehen konnte. Er wartete, durchlebte dieses Mitternachtsgefühl - er wollte dieses rätselhafte, lästige Geräusch nicht noch einmal hören, aber er wollte auch die Bestätigung dafür, etwas gehört zu haben. Das Geräusch wiederholte sich nicht.
    Childes stieg die knarrenden Holzstufen hinauf; er war nervös. Er kam um die Treppenbiegung und sah, daß die Schlafzimmertür offenstand. Das war in Ordnung so. Er hatte sie heute morgen offenstehen lassen - das tat er immer. Er ging weiter, dann die paar Schritte auf dem Treppenabsatz entlang. Er stieß die Schlafzimmertür weit auf.
    Das Zimmer war leer, und er ärgerte sich über sich selbst, weil er sich wie eine furchtsame alte Jungfer aufgeführt hatte. In dem Zimmer befanden sich zwei Fenster einander genau gegenüber, und an einem davon klebte außen etwas Kleines und Zartes. Er tappte hin und spürte, wie die hölzernen Dielen leicht unter seinem Gewicht nachgaben, und dann schnalzte er mit der Zunge, als er sah, daß das zitternde Etwas am Fenster nicht mehr war als eine am Glas haftende Feder - von einer Möwe oder Taube, nahm er an. Das war schon öfter passiert: die Vögel sahen durch die beiden Fenster nur Himmel und wollten hindurchfliegen und krachten gegen die Scheibe; dabei kassierten sie einen Schock und wahrscheinlich ziemlich heftige Kopfschmerzen - aber selten wurde mehr Schaden angerichtet. Manchmal blieben ein paar Federn an der Scheibe kleben. Er starrte noch immer darauf, als sie schließlich vom Wind davongeweht wurde.
    Childes wollte sich gerade wieder abwenden, als ihm die Schule in der Ferne auffiel. Sein Herzschlag setzte aus, und seine Hände packten das Fensterbrett - er sah einen feurigen Glanz. Und dann kam die Erleichterung, er wußte plötzlich wieder, daß das weiße Gebäude lediglich die alles rotfärbenden Strahlen der untergehenden Sonne reflektierte.
    Aber das Trugbild ging ihm nicht mehr aus dem Sinn, und als er sich aufs Bett setzte, zitterten seine Hände.

Es stand unter dem Baum und beobachtete, und der heitere Sonnentag strafte das auf dem Friedhof bezeugte Elend Lügen.
    Die Trauernden waren um das offene Grab herum gruppiert; das Sonnenlicht machte ihre dunkle Kleidung grau, fleckige weiße Kreuze, Grabplatten und lächelnde, von Wind und Wetter zerfressene Engel waren leidenschaftslose Beobachter auf diesem Knochenacker. Das milde Rauschen des Verkehrs war in der Ferne zu hören; irgendwo wurde ein Radio ausgeschaltet: Der Friedhofsarbeiter hatte gemerkt, daß eine Beerdigungszeremonie im Gange war. Die Stimme des Priesters war gedämpft und erdig und dort, wo die Gestalt im Schatten der Eibe kauerte, kaum mehr zu hören.
    Als der winzige Sarg

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