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Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts

Titel: Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Higgins
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betrachtete den leicht gebeugten Rücken.
    »Nein, zu alt.« Er kehrte zum Gasthaus zurück. »Niemand, um den ich mir Sorgen machen müsste.«

    Nachtfalke blickte auf, als der Junge die Terrasse verließ. Sie hatte gespürt, wie sein Blick über sie geglitten war. Da er sich jetzt abgewandt hatte und gegangen war, hatte ihn ihre Verkleidung anscheinend täuschen können. Er hatte sie für eine alte, ge beugte Frau gehalten. Ihr gründliches Training hatte sich einmal mehr bewährt; es schien, als könnte sie fast jedermann täuschen.
    Wer immer er war, er war auf alle Fälle ziemlich aufgeweckt. Nachtfalke hatte beobachtet, wie er mit dem lärmenden Privatdetektiv umgegangen war. Selbst aus dieser Entfernung war es offensichtlich gewesen, dass er den Mann klar durchschaut hatte,
so wie ein Gelehrter ein billiges, unseriöses Reisehandbuch erkennt. Jetzt, da sie die Ge legenheit gehabt hatte, den Jungen zu beob achten, war Nachtfalke von ein paar Dingen überzeugt: Es war richtig gewesen, dass sie zu dieser Stelle zurückgekommen war und auf ihn gewartet hatte, nachdem sie es vorher weiter unten auf der Straße probiert und ihn in seiner neuen Verkleidung entdeckt hatte, wie er aus der Gaststube kam. Trotz dieser Verkleidung hatte sie ihn mit absoluter Sicherheit wiedererkannt. Seine geschmeidige Anmut und seine Augen hatten ihn verraten. Er war es: derselbe Fremde, der, als Pilger verkleidet, sie und die Bauern auf der Landstra ße gerettet hatte. Nachtfalke konnte sich ein leicht selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen. Die leichtgläubigen Bauern, die sie als Tarnung für ihre Reise benutzt hatte. Die Art, wie er sie im Wald angesehen hatte, deutete darauf hin, dass er es für sie getan hatte. Die Bauern waren eher Nebensache gewesen. Die Tatsache, dass er sie moch te, konnte sich später als nützlich erweisen.
    Sie sollte ihn aber keinesfalls unterschätzen. Dieser mutige Knabe hatte viele Fähigkeiten. Raffinierter Nahkampf. Er konnte seine Erscheinung verändern. Er war mit diesem verdächtigen Fragesteller zurechtgekommen, der jetzt die Straße hinabwatschelte. Der Junge war eindeutig ein Profi. Aber ein Kriegsmönch? Nachtfalke lachte. Unter seinen Ausbildern hatte es sicher einige gegeben, aber nein, er selbst war kein Prediger mit Wanderstab. Ihr Gesicht verzog sich.

    Er war wie sie. Er war ein Shinobi. Ein Spion, und eindeutig ein begabter.
    Allerdings nicht perfekt: Er hatte sie ge rade nicht entdeckt, genau vor sei ner Nase. Ei nige Spione waren gut da rin, sich gegenseitig aufzuspüren. Auf diesem Gebiet schien er eher unterentwickelt. Sie nickte. Es war wichtig, auch das im Gedächtnis zu behalten.
    Ihn auf der Landstraße zu beobachten, hatte sie sehr beeindruckt. Er war ein hervorragender Krieger, schnell und beweglich. Nachtfalke blickte gedankenverloren auf die Terrasse des Gasthauses, auf die Stelle, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Höchstwahrscheinlich war dieser Junge das männ liche Gegenstück zu ihr. Wenn das im wahrsten Sinne des Wortes zutraf, dann war er auch hier, um an die Pläne zu kommen.
    Hatte der Schattenclan, für den er arbeitete, dieselbe große Möglichkeit, Profit zu machen, erkannt wie ihre Herren? Hatten sie auch vor, Silberwolfs neue Beute zu stehlen und sie dann unter den treulosen, opportunistischen Kriegsherren meistbietend zu versteigern? Vielleicht. Ob er nun ein Ge schöpf wie sie selbst war oder nicht, er war auf alle Fälle ein Rivale.
    Hier war die Art Komp likation, mit der sie nicht gerechnet hatte. Nachtfalke seufzte tief. Sie würde nur zu gern mit dem Jungen sprechen, ihn sogar gern kennenlernen. Ihm Fragen stellen zu all dem, was sie gemeinsam hatten. Aus der Nähe in dieses mutige Gesicht schauen, in die se scharfen Augen. Er könnte
vielleicht die erste Person sein, die ihr privilegiertes, einsames Dasein verstand. Die Ehre, den Stolz und die Bürde, Shinobi zu sein. Wie ihre Ausbilder gesagt hatten, so lange sie zu rückdenken konnte, jemand, der auserwählt war, große Taten im Geheimen zu vollbringen, Herrscher zu stürzen, den Verlauf der Geschichte zu verändern. Jemand, der etwas tun konnte, was außer ihm niemand zu vollbringen in der Lage war.
    Sie schloss die Augen. Jemand, dessen Schicksal es war, seinen Weg alleine zu gehen, ohne Freund und oft voller Angst. Nie versagen zu dürfen. Wer außer denen von ih rer Art würde solch ein Schicksal verstehen?
    Ja, er konnte sehr gut ihr Spiegelbild sein. Sie senkte den Kopf. Spiegelbild oder

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