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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Heidedamm anheulen, langgezogene, jämmerliche Laute der Nacht.
    Du hast ihren Fuß von der Diele gerissen und auf den nächsten Absatz gezwungen. Ich will nicht, wehrte sie sich, die Ferse rutschte wieder weg. Sie könne das nicht, niemand dürfe das von ihr verlangen. hWas?, hast du gerufen und ihr gegen die Fessel geboxt. Was genau war es, das sie plötzlich nicht mehr zu schaffen schien, doch nicht etwa die Treppe mit den paar Stufen? Lächerlich! Auch der Eingriff, der ihr am nächsten Tag bevorstand, war doch in Wahrheit ein Klacks, jede Geburt ungleich riskanter, hatte sie selbst noch den Arzt am Telefon zitiert, der anscheinend auch, wie alle holländischen Abtreiber und Abtreibungsgehilfen, des Deutschen mächtig war.
    In deiner Hand zuckte der kalte Leib, das Wrack, dachtest du, ein schweres, unbewegliches Trumm die ganze Mutter, das zerrende Kind daran, das ihr doch nur helfen will, der Klotz am Bein. Sie schüttelte dich ab, flennte weiter, spuckte Drohungen und Flüche, doch dir war, als meinte sie gar nicht mehr dich, sondern einen anderen, Abwesenden, Daniel vielleicht, der sie hatte hängenlassen, alle Männer, die ihr je eine Abfuhr erteilt hatten, du wüsstest ja nicht, was sie damals mit dir durchgemacht habe, und unmoralisch sei nicht die Sache an sich, nur die Art und Weise, wie man in Deutschland mit Frauen wie ihr umgehe, die sich diese dreihundert Mark nicht leisten könnten, und sie fischte nach einem Schein auf dem Boden.
    So viel Geld, Liebling, hauchte sie plötzlich fast zärtlich und legte dir die Hand auf die Wange, kostest du mich jeden Monat, und ob du dir überhaupt vorstellen könntest, was es für sie und auch für dich bedeuten würde, gleich zwei Kinder durchbringen zu müssen, von wegen Studium, das könntest du dann direkt auf dem Acker betreiben und täglich den Lohn nach Hause bringen, und sie packte dich bei den Schultern und schüttelte dich, für dreihundert Mark im Monat nimmt deine Tante dich bestimmt bei sich auf, und sie schleuderte den Schein in die Luft und sackte auf dem Treppenabsatz wieder in sich zusammen.
    Dann fall doch! Die Worte kamen ohne ein Stocken, kaum mehr gehaucht, nur ein wenig außer Atem, mit einem Moment des Erschreckens danach, zwei, drei Sekunden lang, bis sich im Wohnzimmer die Platte einmal herumgedreht hatte, mit der Bruchkante gegen die Nadel stieß und die Stille zerschoss; dann hast du sie losgelassen. Im nächsten Moment würde sie nach hinten überkippen, kaputtfallen, und das Kind in ihrem Bauch gleich mit, dann müsstet ihr nicht nach Holland und hättet dabei noch was gespart. Nein!, rief sie, packte dich bei der Schulter und stützte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf dich. Den Gefallen tue sie dir nicht, undob du sie jetzt damit einfach allein lassen willst? Aus ihrer Stimme war der klagende Ton verschwunden, sie sprach jetzt deutlich, sogar ein wenig drohend.
    Wie schnell sie doch umschwenkt, wenn du nicht kuschst! Sie nahm dein Gesicht in die Hände und drückte es an ihre Brust. Trotz allem roch sie wie immer. Als du wieder zu atmen wagtest, hatten die Erinnerungen den bitteren Nachgeschmack ihrer Worte überdeckt. Sie saugte die Lippen ein, krümmte den Rücken, machte auf hilflose Greisin, verlangte die Pantomime. Du hättest sie ja gar nicht mehr gern, nuschelte sie und steckte dir die Nase ins Ohr, schlang sich gleichzeitig deine Arme um die Hüften, wo sie herunterhingen, ins Leere der Treppentiefe, die dich nach unten zog, als wäre dein Körper plötzlich verflüssigt, ohne Muskeln und Knochen, ein häutiger Schlauch voll trüber Gedanken und verwaschener Empfindungen, der hinfällige Kinderleib im Schlafanzug, du sankst zurück in ihre Arme.
    Wer hat schließlich wen auf die Stufen gezerrt? In deinem Kopf ist auch jetzt noch, Wochen danach, diese Blase, die euch plötzlich umgab, ein trüber Filter vor den Bewegungen, die euch auf die Treppe zwangen, ein gegenseitiges Stoßen, vielleicht ein kurzer Kampf, verschwommen, schwerfällig und seltsam verlangsamt, wie unter Wasser. Sie saß nun auf dir, die Beine gespreizt, ihre Hände umklammerten deine Unterarme, eine Position, wie du sie oft bei den Raufereien im Pausenhof beobachtet hattest, wenn der Stärkere den Verlierer unterwirft. Deine alte Mutter wirst du nicht los, lachte sie, oder wimmerte sie es nun wieder, ihre Stimme klang plötzlich fremd, sie war nun ganz die Andere geworden, die in diesem Moment den Rest der Marga, wie du sie immer gekannt hattest, absorbiert

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