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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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endlich umgedreht hast, saß er frierend auf dem Stumpf, mit angezogenen Knien, das Handtuch um die Schultern. Du warfst ihm den Bademantel hin. Er grunzte, schlüpfte hinein, band den Knoten und streckte dir die Füße entgegen. Du erkanntest die Zehen mit den schwarzen Haarbüscheln wieder, bärtige Männchen, die Schmutzränder unter den Nägeln ihre grinsenden Mäuler, zu fünft im Fenster ihres schiefen, schrundigen Hauses. Sie wackelten mit den Köpfen und zwinkerten dir zu. Du warst dir nun ganz sicher, dass diese Männerfüße, die eine der wenigen Erinnerungen an deine frühe Kindheit waren, damals deinem Vater gehört hatten, und wenn nicht ihm, dann doch einem Mann, der ein Vater hätte sein können.
    Warum tut sie das?, fragte er, du hast die Schultern gezuckt. Nie hattest du näher nach dem Warum geforscht, immer waren Wie und Was die drängenderen Fragen gewesen; wie kriegst du sie wieder zum Augenaufschlagen, Atmen, Lächeln, und was sagst du Marianne, die du mitten in der Nacht aus dem Schlaf klingeln musst, wie sollst du es nennen, und was ist zu tun, das waren deine Sorgen gewesen, als sie dir damals im Herbst fast unter den Händen krepiert wäre.
    Er zog dich nah an sich heran. Sie soll wieder ihre Tabletten nehmen, sag ihr das! Seine Stimme klang jetzt eifersüchtig, herabgedämpft von einem Gefühl, auf das er kein Recht hatte, und mit dem Gedanken hast du dich losgerissen. Es sei alles ein bisschen viel für sie, lenkte er ein, als er dein misstrauisches Gesicht sah. Dann sprach er vom Therapieerfolg der Klinik, den sie aufrechterhalten müsse, und dass man ihr ziemlich oft Strom durch den Kopf gejagt habe, um sie wieder hinzukriegen. Er bohrte sich die Zeigefingerspitzen in die Schläfen und zischte ein Geräusch, das elektrisch klingen sollte.
    Er hatte sie also besuchen dürfen, während sie sich dich mit Ausflüchten vom Leib gehalten hatte. War es am Ende gar nicht der Arzt gewesen, der ihr all diese fremdartigen Sätze eingeredet hatte, sondern er? Ich kenne sie nun schon länger, sagte er, als hätte er deine Gedanken gelesen. Er glaube an ihr Talent, aber sie müsse sich entscheiden, wohin mit alldem, und er deutete mit einer unbestimmten Geste auf den Teich, zum Haus oder zu dir. Ich helfe ihr gern dabei, fügte er hinzu und kam wieder näher. Aber dir, beschwor er dich, vertraut sie mehr. Du kennst sie besser. Sorg dafür, dass sie diese verdammten Pillen nimmt!, rief er und schüttelte dich, schien dann plötzlich über sich selbst zu lachen und boxte dir kumpelhaft gegen die Schulter; er musste das Flehen in deinem Blick gelesen haben.
    Hehe, sagte er, aber fang jetzt bloß nicht an, mich Papa zu nennen. Ich bin dein Freund, klar? Er stand auf, zupfte am Bademantel, grinste noch einmal über die Travestie. Komm, Soldat, puffte er dich, wir gehen zurück in den Kampf.
    Da hast du deinen ganzen Mut zusammengenommen. Heute erscheint dir der Satz als der schwerste, den du jemals hastaussprechen müssen. Du schautest lang auf den Teich, der nun wieder still und friedlich in der Sonne lag, hast schließlich tief eingeatmet und mit der Hilfe des Windes aus der Ebene gehaucht, ob es stimme, dass sie bald ein Kind bekämen. Schon bei der Hälfte hatte Daniel verstanden, was du sagen wolltest; sein Gesicht rutschte aus der Form. Das sei nur wieder so ein Spleen von ihr, wischte er dich weg, was sie dir da für einen Floh ins Ohr gesetzt habe? Ihm stünde der Sinn gerade nach ganz anderem, die Leute rissen ihm – tatsächlich waren das seine Worte gewesen – die Bilder gerade unterm Arsch weg, was er ausnützen wolle und müsse, weg von Leinwand und Papier, auf zu neuen Ufern, moderner, radikaler, näher am Leben, die Malerei sei ihm längst viel zu elitär, tot, ob du das verstehen könntest?, und er fasste dich wieder am Arm, doch du hast schon nicht mehr zugehört, bist abermals, wie zuvor unter den Erlen, erstarrt, vor Enttäuschung, oder war es jetzt einfach nur Leere?
    Etwas Endgültiges, Unwiderrufliches breitete sich wie ein lähmendes Gift in dir aus, eine Ohnmacht, wie du sie vom letzten Ferientag kanntest, wenn die Versprechen des Sommers einmal mehr nicht eingelöst worden waren. Doch noch viel schaler und vergeblicher war nun das grüne Gefühl, als dir schlagartig bewusst wurde, dass es eine Familie niemals geben würde.
    Musst du nicht zur Schule?, fragte Daniel, ließ dich abrupt los und ging über die Wiese nach Hause, im wehenden weißen Kleid wie früher die Mutter mit

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