Moor
und ausgelöscht hatte.
Du wandest den Kopf aus der Umklammerung, hattest längst kapituliert. Ihre Brust drückte gegen dein Gesicht, im Ohr brannte ihr Atem, juckte an der empfindlichen Stelle am Hals. Von hinten bohrte sich die Treppenkante in dein Kreuz, ein sich langsam ausdehnender Schmerz, der den Körper in zwei Hälften teilte; während die Arme noch aufzuckten, fühltest du dich vom Becken abwärts schon gelähmt, als würde dein Leib plötzlich mit dem Rumpf enden, an der Stelle, wo sie nun zu fingern begann. Wenn du jetzt die Fersen über die Kante geschoben und die Knie durchgestreckt hättest, die ihr ganzes Gewicht trugen, wärst du sie los gewesen. Nur eine winzige Bewegung, unwillkürlich, im Reflex, als sie ihre Hand zwischen deine zusammengepressten Beine schob, die du nicht öffnen wolltest. Ihr bloß nicht das herausgeben, wonach sie grub, es klein halten, einziehen, wegquetschen, sie zischte: Stell dich nicht so an!
In ihrer Hand sahst du das kleine, schrumpelige Stück, wurmartig wie eine zusammengerollte Larve, die man aus tiefer Erde wühlt. Nun würde sie es in ihren Schoß legen, wo es gedeihen und schlüpfen sollte, beschützt und gewärmt von ihrem Bauch, der dir plötzlich, so über dich gewölbt, doch ziemlich dick erschien, angeschwollen vom Wasser, das sich in der Schwimmblase ihres Unterleibs gestaut hatte und nicht mehr abfließen konnte, so dass man sie würde aufschneiden müssen, damit das Kind in ihr nicht ertrinkt, das man noch gerade rechtzeitig aus ihr rettet, mit dem Schlauch, hatte sie dir erklärt, sie würden es einfach wegsaugen, das Leib-, das Frucht-, das Moorwasser, ein kleines, weißes, rochenartiges Wesen darin, die zwei noch blinden Äuglein in einem Klümpchen Kopf, Hände und Füße wie winzige Flossen aus der Mutter abpumpen ins Rohr, und du hast treppab geblickt, vier Stufen bis zum Boden, kaum einen Meter; früher, als du noch sehr klein warst, hast du die Tiefe als bedrohlich empfunden, dir gewünscht, dass sie dich an der Hand nimmt und führt. Hast du mich wieder lieb?, haucht sie, und das Kind, kurz bevor es eintaucht: hMama, hnicht!
Natürlich hatte sie auf den Ausflug ans Meer dann keine Lust mehr gehabt. Auf dem Rückweg stand der Zug wegen eines Lokschadens lange auf offener Strecke, am Grenzbahnhof war der Anschluss schon weg. Als ihr in Fenndorf aus dem Bus stiegt, war es bereits dunkel. In der Küche schmierte sie eilig ein paar Brote, schob dir den Teller hin, iss, befahl sie und schenkte sich ein Glas Wein ein, das sei ein anstrengender Tag gewesen. Du hast ihr eine Schnitte hingehalten, sie schüttelte den Kopf, beobachtete dich beim Kauen, klaute dir dann doch mit einer flinken Bewegung die Stulle, biss ihre Signatur hinein, gab sie zurück und lächelte dir zu, das erste Mal seit Tagen.
Morgen gibt’s Allestopf mit Schwein, sagte sie, und auch ihre Stimme, aus der die harten, klirrenden Höhen verschwunden waren, ließ dich hoffen, dass von nun an wieder alles wie früher würde. Sie stand auf und räumte das Geschirr weg, obwohl du noch nicht aufgegessen hattest. Sie müsse jetzt ein wenig allein sein, sagte sie, plötzlich vorwurfsvoll, als hättest du sie während der Reise zu sehr strapaziert. Ohne Blick und Gutenachtgruß ging sie aus der Küche, ein wenig taumelnd. Du bist ihr auf den Fersen gefolgt, halb verärgert, halb in der Angst, sie könnte es wieder nicht die Treppe hoch schaffen. Doch sie schwankte nicht, nahm sogar zwei Stufen auf einmal. Vorm Schlafzimmer drehte sie sich abrupt um, blickte dich müde an und sagte: Was willst du noch? Sie ging hinein und zog Daniels Bettzeug von derrechten Matratze unterm Fenster. Den Packen warf sie dir in die Arme, dann, als bereute sie die brüske Geste, strubbelte sie dir durchs Haar, wofür du sie in diesem Moment besonders hasstest. Du bist zwischen ihr und dem Türrahmen hindurchgewischt und hast die Bettdecke zurück auf die Matratze geschleudert. Sie lachte auf, jetzt war da doch ein gläserner Ton in ihrer Stimme, auch ihre Bewegungen schienen dir wieder zu schnell: Wie sie näher kam, sich vor dir aufbaute, tief einatmete, als würde sie jeden Moment losschreien, dich dann am Kragen packte, heranzog, fast ihren Mund auf deinen presste, mit einem Millimeter Abstand dazwischen, wo ihr Atem sich staute. Sie könne sich das alles nicht mehr leisten, sagte sie leise. Der Satz strömte dir in die Mundhöhle, schmeckte sauer und alt, von fern bekannt, aus schwarzen, fast vergessenen
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