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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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ihrem Kind.
    ◆◆
    Glaubst du wirklich noch immer, Dion, das Baby hätte euch gerettet? Nicht nur mit seinem Vater, auch mit dir hat sie kurzen Prozess gemacht, nachdem der Traum von der Familie endgültig geplatzt war. Erinnere dich an den Abend vor der Fahrt nach Holland; den ganzen Tag hattest du sie getröstet und gestützt, was eigentlich Daniels Aufgabe gewesen wäre, der aber ausgerechnet in dieser Woche nach München musste, zur Vernissage seiner neuen Ausstellung, die Erfolg und Geld versprach.
    Die fünfhundert Mark hatte er mit dem Eilboten geschickt, gegen Unterschrift, die schließlich du geleistet hast; sie weigerte sich, aus der Küche zu kommen, so dass der Kurier dir den Umschlag erst nicht aushändigen wollte; warum deine Mutter ihn nicht persönlich entgegennehmen könne, sie sei doch anscheinend zu Hause, und er hatte neugierig den Kopf in den Flur gereckt, unnötig das Ganze, peinlich, selbst einem, der nicht stottert, wäre das Wort im Hals steckengeblieben, als sie plötzlich doch hinter dir stand, ihre Hände auf deine Schultern legte und dem Postboten mit einem Blick befahl, dir den Brief zu geben. Wenn Sie wüssten, wofür dieses Geld ist, sagte sie, würden Sie sich nicht einmal den Arsch damit abwischen. Das Kuvert in deiner Hand war prall gefüllt, du hattest nicht gedacht, dass die Sache so teuer kommen würde.
    Deine Fahrkarte war im Preis mit eingerechnet. Sogar für den versprochenen Abstecher ans Meer hätte es gereicht, weil Daniel noch einen Hunderter draufgelegt hatte, Tribut seines schlechten Gewissens. Am Nachmittag hatte sie aufgeregt an der Kommode gestanden und nach Holland telefoniert. Daniel hatte ihr die Nummer über Ute Hassforther besorgt. Sie drehte mit dem Finger eine Haarsträhne zu einem straffen Wickel bis kurz vor den Scheitel, zischte einen Schmerz- oder Fluchlaut, wobei sie dir zunickte, ob man ganz sicher auf sie warten würde, fragte sie die Person amanderen Ende der Leitung, die anscheinend Deutsch sprach, der Zug könnte Verspätung haben. Mit der Antwort schien sie zufrieden, drückte auf die Gabel, wählte neu. Jetzt schien sie mit der Auskunft verbunden, die sie durchstellte, zum Fremdenverkehrsamt in Groningen. Wieder schien jemand Deutsch zu verstehen, als sie sich nach einer Unterkunft erkundigte, ein Doppelzimmer, ja, zwinkerte sie zu dir herüber, notierte eine Nummer, sagte schließlich: Tot ziens . Erneut rasselte die Wählscheibe. Jetzt wickelte sie von der anderen Seite her eine Locke, ihr Haar war ungewaschen, hing in fettigen Strähnen herab, nicht mehr rot, noch nicht wieder blond, du fandest keinen Namen für das, was auch kaum eine Farbe war, mit deiner Mutter hatte diese Frau am Telefon kaum mehr etwas zu tun.
    Die Andere, die du am Abend auf dem Treppenabsatz fandst, zusammengesackt, mit einer erloschenen Zigarette zwischen den Fingern, von der sich der Aschewurm nach unten krümmte, wolltest du dann nur noch loswerden. Du hast sie an der Schulter berührt, die Asche fiel von der Kippe auf den Bademantel. Obwohl ihr Gesicht sehr blass war, schien etwas darin zu brennen; waren es die geröteten Augen, die ihr diesen hitzig starren Ausdruck verliehen, die fiebrigen, scharf abgegrenzten Flecken auf den Wangen, wie ein soeben erblühter Ausschlag, oder doch das Haar mit seinem giftigen Kupferton, das dieses Elendsbild rahmte?
    Du hättest dich einfach verdrücken können. Endgültig über sie hinwegsteigen, hmir reicht’s, htschüs hMama! Mit dem Geld, das Daniel geschickt hatte, wärst du ein paar Wochen ausgekommen. Die Scheine lagen auf dem Boden verstreut, quollen aus der gepackten Reisetasche hervor, zwischen Kleidern, Toilettenartikeln und einem Buch, das du auf derZugfahrt lesen wolltest. Im Wohnzimmer rauschten die Lautsprecher des Plattenspielers, der sich in den Stunden zuvor mit der immergleichen Scheibe darauf gedreht hatte und sie sich um ihn, This is the end, my only friend, in Endlosschleife.
    Jetzt eierte auf dem Teller die in zwei Hälften zerbrochene Platte, streifte mit einer Kante bei jeder Umdrehung die hochgestellte Nadel, erzeugte kleine explosionsartige Geräusche. Deine Hände wollten sich einfach nicht öffnen, als du ihnen befahlst, Marga loszulassen, zurück auf die Treppe zu stoßen, soll sie doch da liegen, bis sie verschimmelt! Sie schluchzte tränenlos und mit trockener Stimme, die anschwoll, für einen Moment aussetzte und wieder abebbte, wie die von Katzen, die sich oft nach Anbruch der Dunkelheit auf dem

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