Moorehawke 02 - Geisterpfade
wenn sie zur Kante der Anhöhe robbte; der Wald war dort oben licht, und man könnte sie leicht entdecken.
Vier oder fünf Minuten verstrichen ohne jedes Anzeichen eines Wachpostens, also holte Wynter tief Luft, bedeckte ihr Gesicht, um mit der Umgebung zu verschmelzen, und schob sich leise aus der Deckung. Als sie ganz langsam auf dem Bauch den von Laub und Nadeln bedeckten Hang hinaufrobbte, dankte sie Gott für die jüngsten Regenfälle; ohne den Rest Feuchtigkeit hätte der Waldboden höllisch laut geknistert und geknackt.
Auf halber Höhe zur Kante ließ ein leises Geräusch Wynter zu Stein erstarren. Sie zog den Kopf ein und blieb einen Moment regungslos liegen, drehte dann das Gesicht zur Seite und blickte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Es dauerte einen Augenblick, bis sie ihn ausgemacht hatte, und dann war er so nah, dass sie sich einen Aufschrei verbeißen musste: Weniger als zehn Fuß entfernt kroch zu ihrer Rechten ein dunkel gekleideter Mann lautlos durchs Unterholz. Seine Aufmerksamkeit war nach oben gerichtet, noch hatte er sie nicht bemerkt.
Mühsam schluckend trat Wynter vorsichtig den Rückzug an. Mit ein bisschen Glück würde der Mann einfach weiterrobben, und sie könnte sich durch den Wald davonstehlen, ehe er sie überhaupt wahrnahm.
Doch da ertönte ein scharfes Zischen von oben. Sie wandte den Kopf und entdeckte einen weiteren Mann, fast auf der Hügelkuppe. Er deutete auf Wynter, und schon hörte sie hastiges Rascheln neben sich, als sich der erste Mann um die eigene Achse drehte und sein Messer zog. Sie verschwendete keine Zeit darauf, ihn auch nur anzusehen – so schnell sie konnte, krabbelte sie rückwärts bis zum Fuß des Abhangs, kam auf die Füße und rannte los zu Ozkar.
Es war eindeutig, dass sich diese Männer nicht erlauben konnten, irgendwelchen Lärm zu machen, und beim Anblick ihrer lautlosen, wölfischen Bewegungen, mit denen sie ihr nachsetzten, stellten sich Wynters Nackenhaare auf. Sie versuchte gar nicht erst, geduckt zu bleiben, sondern hastete mit fliegenden Gliedern vorwärts, um möglichst viel Abstand zwischen sich und das fremde Feldlager zu bringen, bevor sie sich den Verfolgern stellte.
Ihr Verstand brüllte sie an: Dreh ihnen nicht den Rücken zu! Dreh ihnen nicht den Rücken zu! Stell dich dem Kampf! Wenn sie dich zu Boden reißen, bist du tot! Doch sie schien keine Gewalt über ihre Arme und Beine zu haben, konnte sie nicht daran hindern, immer weiter auszuholen, und spürte, dass ihr die Augen allmählich aus dem Kopf traten. O mein Gott! , dachte sie. Sie sind zu zweit. Was soll ich nur machen?
Wynter hörte die Männer hinter sich durch die Büsche stürmen. Sie hatten sich getrennt und versuchten, sie von beiden Seiten anzugehen. Einer näherte sich sehr rasch in einem weiten Bogen, während sein Kumpan von hinten aufholte.
Sie wollten ihr den Weg abschneiden und sie gemeinsam zu Fall zu bringen.
Allmählich ging Wynter die Luft aus, und mit einem Stich der Verzweiflung begriff sie, dass sie es nicht zurück zu Ozkar schaffen würde. Im Laufen zückte sie ihren Dolch und schlug einen Haken nach links, um Abstand zu dem schnellen Mann zu gewinnen, der versuchte, sie abzufangen. Sie wich einem dicken Brombeerstrauch aus und verlor ihn vorübergehend aus den Augen. Der Kerl hinter ihr war inzwischen sehr nah, sie konnte ihn nur wenige Meter entfernt durch einen Strauch brechen hören.
Erneut schlug sie einen Haken, sprang über einen Baumstamm und hielt sich weiterhin möglichst weit links, um den Mann rechts von sich abzuschütteln. Im Augenblick war nur noch der hintere Verfolger da. Vielleicht hatte sie eine Chance, wenn sie diese verbissene Flucht abbrechen und sich ihm stellen würde; wenn sie ihn angriff, solange er allein war. Sie könnte ihn mit ihrem Dolch erwischen, ehe sie zu müde zum Kämpfen wurde.
Immer noch gaben die beiden Verfolger keinen Laut von sich, die einzigen Geräusche waren das Flüstern ihrer Füße im Laub und das kurze, leise Rascheln, wenn einer von beiden durch einen Busch sprang.
Vor ihr stieg der Boden abrupt zu einer steilen Böschung an, auf deren Kuppe ein umgestürzter Baum lag. Auf diesen Hang raste Wynter zu in der Hoffnung, einen Vorteil über den Mann hinter sich zu erringen. Sie konnte Blut in ihrem Atem schmecken. Allmählich ging ihr die Kraft aus – es hieß jetzt oder nie.
Laut und ruhig hörte sie Lorcans Stimme im Kopf. Halt den Dolch niedrig, meine Kleine, und führ ihn von
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