Moorehawke 02 - Geisterpfade
Stück auf seiner eigenen Gitarre zu begleiten, und Christopher unterbrach sich. Ohne aufzusehen, berichtigte er die Fingerstellung des Wolfs. Abermals strich der Wolf den Akkord, und Christopher nickte mit gesenkten Lidern. Er nahm sein Spiel wieder auf, langsamer nun, nach jedem Akkord innehaltend, damit der Wolf nicht aus dem Takt kam. Zu seiner anderen Seite saß Christophers Vater mit steinerner Miene, die Mandoline auf den Knien, geduldig abwartend, bis David Le Garou der Lehrstunde müde wurde und verfügte, mit der richtigen Musik zu beginnen.
Glöckchen klangen leise in der Dunkelheit hinter der Sklavenkette, und Wynter erstarrte. Seit Monaten hatten sie die in einer langen Reihe aneinandergefesselten Sklaven nicht auf diese Weise behelligt, doch Jean hatte, aus einer
wölfischen Laune heraus, den letzten Jungen in der Reihe gerissen. Und das Mädchen? Wer wusste das schon? Eines Morgens war sie einfach nicht mehr da gewesen. Nun hielten die Burschen der Wölfe erneut Ausschau nach frischem Zeitvertreib für ihre Herrn und Meister, die Glöckchen um ihre Knöchel und Handgelenke läuteten hell, während sie um die verängstigten Sklaven herumpirschten.
Wynter schloss die Augen. Bitte nicht mich , dachte sie.
Eine vertraute Stimme sprach ihr ins Ohr. »Ist schon gut, Schwester. Du gehörst nicht zu ihnen.« Alberon lächelte auf sie herab. »Komm, du sitzt auf dem falschen Platz.«
Sie grinste in sein sonniges Gesicht und ließ sich von ihm aufhelfen. Hinter ihr bewegten sich die Glöckchen weiter die Reihe hinab, und Wynter hörte einen der anderen vor Angst aufstöhnen.
Als Alberon Wynter um das Feuer herumgeleitete, verbeugte sich David Le Garou höflich.
»Hohe Dame«, murmelte er.
»Monsieur Le Garou«, entgegnete sie und neigte anmutig das Haupt.
Christopher am Feuer flüsterte: »Vater? Was ist mit meinen Händen?«
»Würdest du dich gern in meinem Zelt ausruhen, Schwester?«, fragte Alberon und legte ihr den Arm um die Schultern. »Ein Glas Wein trinken?«
Wynter antwortete fröhlich, das würde sie gern, und vielleicht auch ein Stückchen Braten essen, so es denn welchen gäbe. Ihr Blick fiel auf die andere Seite der Lichtung, wo Razi stand.
Alberon kicherte darüber, wie vertieft er in die Vorgänge am Feuer war. »Bruder!«, rief er. »Komm schon. Wir haben keine Zeit für so etwas. Es gibt Arbeit.«
Mit unsicherer Miene drehte sich Razi um. »Aber …«
»Kein Aber, Bruder. Wir haben etwas zu erledigen! Komm mit.« Alberon streckte ihm die Hand hin. »Komm mit «, forderte er mit schon etwas tieferer Stimme.
Christopher am Feuer flüsterte: » Vater? «
Wynter wollte zu ihm gehen, doch eine Stimme in ihrem Kopf, so laut und deutlich wie die Stimme ihres eigenen Vaters, sagte: Er ist nicht so wichtig . Und sie zögerte, versuchte sich zu erinnern, was es war, das sie tun musste.
Alberons Arm um ihre Schultern straffte sich, und sie schauderte, weil er sich so kalt anfühlte. »Solche Dinge geschehen immerzu«, sagte er. »Wir haben Größeres zu bedenken.«
»Nein«, flüsterte Razi, den Blick aufs Feuer gerichtet. »Nein. Ich bin nicht so ein Mensch.«
»Ach nein?«, fragte Alberon. »Wirklich nicht? Und wer bin ich dann?«
Razi wirbelte zu ihm herum.
Wynter hatte Razi noch nie schreien hören. Es war ein entsetzliches Geräusch. Sie drückte sich an Alberon, zu Tode verängstigt, und Razi wich vor ihnen beiden zurück.
»Wer bin ich?«, gurgelte Alberon. Plötzlich wusste Wynter genau, wer dort neben ihr stand und den Arm um sie gelegt hatte, und sie zuckte und rief um Hilfe, versuchte vergeblich, sich zu entziehen.
Nicht hinsehen! , mahnte sie sich. Nicht hinsehen! Doch im selben Moment drehte sich ihr Kopf wie von allein, und sie blickte auf.
Es war Isaac, der Mann, den Alberon geschickt hatte, um Razi zu töten. Der Mann, dessen grauenhafte Folterung Razi zugelassen hatte, ehe die Schlossgeister ihn von seiner Marter erlöst hatten. Isaacs augapfellose Höhlen flossen über
vor Tränen, zähe, klumpige Tropfen rannen ihm über die Wangen. Sein schrecklicher Mund, nur eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, bewegte sich vor den zerschmetterten Zähnen, die gewählte Stimme kam unfassbar klar über die zerfetzten Lippen.
»Mary?«, fragte er. »Erkennst du mich nicht?«
Wynter schrie, und Razis immer noch andauernder Schrei auf der anderen Seite der Lichtung klang wie ein Echo ihres eigenen.
Embla war neben ihm aus dem Schatten getreten, Schmutz in Haaren und
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