Moorehawke 02 - Geisterpfade
das der Frau fiel über ihre Schultern und bis auf den Rücken wie Zitronenflammen.
Kein Wunder, dass du Razi aufgefallen bist , dachte Wynter. Du bist wie Sonnenschein auf Eis .
Die Frau neigte den Kopf und raunte ihrem Bruder abermals etwas zu. Obwohl sie älter aussah als Razi – sie mochte
schon Ende zwanzig sein -, befand Wynter, dass die beiden ein schönes Paar abgäben. Der Pirat und seine blasse Dame , dachte sie. Das wäre ein hübscher Anblick . Dann schoss ihr listig durch den Kopf: Vielleicht verschafft uns das Zutritt zu ihrem Tisch .
Caoirigh Beo
D u wirst beobachtet, Razi«, murmelte Wynter und nahm einen Schluck von ihrem Fruchtsirup.
Razi hob den Blick und sah sich unauffällig im Raum um. »Von wem?« Seit Wynter ihn dabei ertappt hatte, wie er die Merronerin betrachtete, hatte er geflissentlich am Tisch der Edelleute vorbeigeschaut, weshalb ihm entgangen war, wie viel Aufmerksamkeit er aus dieser Richtung erhielt.
Wynter gluckste. »Deine blasse Dame scheint recht angetan von dir. Muss am Bart liegen.«
Razi stieß ein verärgertes ts, ts aus, drehte sich aber dennoch der Frau zu und sofort wieder weg; sie musste ihn immer noch beobachtet haben. Umständlich begann er, an seinem Ärmelsaum zu nesteln, und als sich seine Wangen leicht röteten, verspürte Wynter eine Woge der Zärtlichkeit. Sie stupste ihn am Arm, und seine Zähne blitzten in einem kurzen Grinsen auf.
Die Versuchung war groß, in ihr altes Necken und Scherzen zu verfallen, doch Wynter räusperte sich und zwang sich, genau auf ihre Umgebung zu achten. Sie ermahnte sich, dass Razi einer der meistgehassten Männer des gesamten Königreichs war – überall in seinem Rücken lauerten Dolche und Wölfe, und von seinem Handeln hing die Lebensweise eines ganzen Reichs ab. Auf gar keinen Fall durften sie ihre heikle Lage vergessen.
Schon wieder warf er einen flüchtigen Blick auf die blonde Frau. Wynter schmunzelte. Na und? , dachte sie. Dann ist er eben ein Weilchen ganz bezaubert und abgelenkt. Können Christopher und ich nicht auf ihn aufpassen?
Während sie abermals an ihrem Becher nippte, sah sie sich um. Die Merroner begannen mittlerweile zu tanzen, und sie sah neugierig zu. Ihr Vater hatte ihr die Tänze dieses Volkes beschrieben: stürmische, schwungvolle Versatzstücke, vielschichtig und schnell. Lorcan sagte damals, nie zuvor habe er Tänzer so hoch springen sehen. Wynter fragte sich, ob Christopher wohl ebenfalls so tanzen konnte. Vielleicht würde er es ihr beibringen?
Razi klopfte den Takt der Musik auf dem Tisch mit. Irgendwo am anderen Ende des Raums schlug Christopher immer noch die Trommel, fügte dem Klangbild sein eigenes Thema hinzu, glücklich und ausgelassen. Sie hatten ihm etwas zu essen bestellt, aber Wynter glaubte nicht, dass sie ihn so bald wieder zu Gesicht bekämen.
Trotz ihrer guten Absichten bemerkte sie die beiden Männer, die den Raum durchquerten, erst, als Razi misstrauisch aufstand, die Hand auf sein Schwert gelegt. Nun erhob sich auch Wynter und sah den beiden in die Augen.
Einen von ihnen erkannte sie vom Tisch der Edelleute. Er hatte zur Linken des Zwillingsbruders gesessen und sich höchst erheitert von der Vorliebe der blassen Dame für Razi gezeigt. Er war rotblond, drahtig und ging leicht gebeugt. Wynter schätzte ihn auf Anfang dreißig, wobei das schwer zu sagen war, denn sein helles Gesicht war so wettergegerbt. An den nackten Oberarmen trug er die kennzeichnenden Armreife der Bärenmerroner, am Handgelenk ein aus Kupfer und Silber geflochtenes Band. Er strahlte etwas unbefangen Gutmütiges aus, und als er zum Tisch kam, strich er sich die
lockigen Haare hinter die Ohren und lächelte mit unverhohlener Neugier. Wynter stellte fest, dass ihm im Oberkiefer zwei Zähne fehlten. Hals und Unterarme waren von Narben überzogen. Sein Begleiter, ein breitschultriger, braunhaariger Hüne, betrachtete Wynter und Razi mit ähnlicher Offenheit und Wissbegierde.
Nun streckte der Rotblonde die Hand aus, und Razi schüttelte sie. Dann wandte er sich, ohne Umweg über Razi, an Wynter und hielt ihr ebenfalls die Rechte zum Gruße hin, als wäre auch sie ein Mann. Sie nahm das hin, als wäre es nichts Ungewöhnliches, und nickte ihm zu. Seine Hand war sehr stark, voller Schwielen und hart, als wäre sie aus poliertem Holz, und seine schlanken Arme sahen aus wie straffe Seile. Auf Merronisch begann er, sich vorzustellen, merkte, dass sie ihn nicht verstanden, und hielt mit gerunzelter Stirn
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