Kräuterkunde
Vorwort zur Neuauflage des Buches
Im Jahr 1985 wurde ich eingeladen, Vorlesungen zum Thema Ethnomedizin
(medical anthropology)
am Sheridan College in Wyoming zu halten. Die Heilkräuter der Indianer, die in dieser Region am Rande der Big Horn Mountains zuhause sind, aber auch die traditionellen Heilpflanzen der europäischen Vorfahren meiner Studenten machten den Hauptteil des Kursinhaltes aus. Gleich bei der ersten Vorlesung brachte ich ein großes Bündel frisch gepflückter Pflanzen mit, die ich herumreichen ließ, damit die Studenten sie nicht nur anschauen, sondern auch fühlen, riechen oder kosten konnten. Pflanzen lernt man eben nicht nur kennen, indem man sie lediglich betrachtet, sondern indem man alle Sinne nutzt und aktiviert.
In der ersten Reihe, direkt vor mir, saß ein ungewöhnliches Paar. Der Mann hatte sich in einen ungemütlich aussehenden Anzug gezwängt, die Frau trug einen modischen Rock und Stöckelschuhe. Als ihnen die Kräuter gereicht wurden, nahmen sie sie nur mit spitzen Fingern entgegen und gaben sie im weiten Bogen an den nächsten Sitznachbarn weiter. Sie rümpften die Nase, als ob es sich bei den Pflanzen um etwas Ekeliges handele.
Nach der Vorlesung kam einer der Studenten auf mich zu und sagte: „Wissen Sie eigentlich, wer da vor Ihnen saß? Das waren der Vorsitzende der Ortsgruppe der
American Medical Association
, des amerikanischen Ärzteverbandes, und seine Sekretärin. Die wollten nur schauen, ob Sie Medikamente verschreiben oder medizinische Ratschläge geben. Das wäre illegal, und dann würde man Sie vor Gericht bringen.“
Da mein Interesse vor allem akademischer Natur war und ich kaum heilkundliche Ratschläge gab, machte ich mir keine Sorgen. Die beiden „Spione“ besuchten noch die nächste Vorlesung und kamen dann nicht wieder. Als ich über die magischen Lieder
(icaros)
sprach, mit denen die Amazonasindianer die Pflanzengeister rufen, verstanden sie nur „Bahnhof“. Und als ich – im Sinne der Planetenlehre der Renaissance – erklärte, daß in der Brennnessel viel „Mars“ vorhanden sei, und daß sich „Saturn“ im Steppenbeifuss offenbare, da war es nicht weit zur Überzeugung der beiden, daß sie einen Spinner vor sich hatten. Einen langhaarigen, indisch gekleideten Spinner, der keine Bedrohung für die objektive medizinische Wissenschaft darstellte. Daß es – wie die ethnobotanische Forschung immer wieder bestätigen konnte – viele verschiedene Heiltraditionen gibt, die oft bemerkenswerte Heilerfolge aufweisen, überstieg den Horizont dieser beiden Funktionäre.
Die anderen Studenten waren jedoch von dem, was sie hörten begeistert. Sie fragten, ob ich nicht Literatur empfehlen könne, um diese Dinge nachzulesen? Ich musste sie enttäuschen. Vieles von dem, was ich ihnen erzählte, hatte ich von dem Naturweisen Arthur Hermes gelernt, der selber aus einer alten bäuerlichen Tradition hervorgegangen war, in der Überlieferungen nur mündlich weitergegeben wurden. Anderes hatte ich von Kräutersammlern und Bergbauern in den Alpen erfahren, von Heilkundigen in Indien, Mexiko oder sonst wo. Was ich dort lernte, habe ich mir in inzwischen zerfledderte Notizhefte gekritzelt. Weitere Quellen waren „obskure“ anthroposophische Schriften, die es nur in deutscher Sprache gab, kaum zugängliche ethnographische Berichte in irgend welchen Journalen oder auch vergriffene indische Publikationen mit geringen Auflagen. Also nichts zum Nachschlagen. Daher baten mich die Studenten, ob ich nicht wenigstens meine Vorlesungsnotizen kopieren und zugänglich machen könne? Nun ja, das konnte ich.
Aus diesen Notizen – schön aufpoliert und revidiert – ist dann ein Manuskript entstanden, für das sich die
University Press of California
interessierte. Ein Komitee von Sachverständigen sollte es noch begutachten. Das Akademikergremium, unter dem sich leider kein Ethnologe befand, hatte Schwierigkeiten mit dem Inhalt. In einem offiziellen Brief wurde mir mitgeteilt, daß sie „ihre Respektabilität und Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzten, wenn sie die These mit trügen, daß analphabetische, primitive Schamanen eventuell zu Einsichten fähig seien, die wissenschaftlich geschulten Akademikern entgingen“. An sich sei es ein Werk mit viel wertvollem Inhalt, man könne es aber nur veröffentlichen, wenn ich bereit sei, fragwürdige Passagen, wie etwa jene über schamanische Reisen, kosmische Einflüsse oder feinstoffliche Energien wegzulassen.
Ich merkte, ich hatte
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