MoR 01 - Die Macht und die Liebe
wenn wir, der Senat und das Volk von Rom, ihm unsere Vergebung verweigerten. Ihm sei also vergeben. Der Senat und das Volk von Rom verlangen jedoch, daß König Bocchus uns nun einen Dienst erweist, der an Größe seiner Schuld gleichkommt, denn bislang hat er für Rom noch nichts geleistet, was die Verfehlung hätte aufwiegen können. Wenn dieser Dienst ebenso unzweideutig ausfällt wie die Beleidigung, werden der Senat und das Volk von Rom mit Freuden König Bocchus von Mauretanien einen Freundschafts- und Bündnisvertrag anbieten.«
Bocchus erhielt diese Antwort Ende März, Prinz Bogud und die beiden anderen Botschafter überbrachten sie persönlich. Die Angst des Königs vor Vergeltungsmaßnahmen der Römer war inzwischen größer als die Angst um sein Leben, und so hatte er beschlossen, in Icosium zu bleiben, anstatt sich in das entlegene Tingis hinter den Säulen des Herkules zurückzuziehen. In so entlegenen Gebieten würde Gaius Marius sicher nicht mit ihm verhandeln. Um sich vor Jugurtha zu schützen, rief er eine neue maurische Armee nach Icosium und befestigte das winzige Hafenstädtchen, so gut er konnte.
Bogud machte sich auf den Weg nach Cirta, um mit Marius zu sprechen.
»Mein Bruder, der König, bittet und beschwört Gaius Marius, er möge ihm mitteilen, welchen Dienst er Rom erweisen kann, um seine Verfehlung wiedergutzumachen«, flehte Bogud auf Knien.
»Genug, steh auf!« sagte Marius ungehalten. »Ich bin kein König! Ich bin ein Prokonsul des Senats und des Volkes von Rom! Vor mir braucht niemand im Staub zu liegen. Es erniedrigt mich ebenso wie den, der im Staub liegt!«
Bogud umklammerte Marius’ Füße, er wußte nicht mehr, was er tun sollte.
»Gaius Marius, hilf uns!« rief er. »Was für einen Dienst erwartet der Senat?«
»Ich würde dir ja helfen, wenn ich könnte, Prinz Bogud«, erwiderte Marius und betrachtete eingehend seine Fingernägel.
»Dann schick uns einen deiner hohen Offiziere, und beauftrage ihn, mit dem König zu sprechen! Vielleicht findet sich dann ein Weg.«
»Gut«, stimmte Marius zu. »Lucius Cornelius Sulla kann sich mit deinem König zu Verhandlungen treffen. Vorausgesetzt, das Treffen findet in Icosium statt und nicht an einem weiter entfernten Ort.«
»Wir wollen natürlich Jugurtha, das ist der Dienst, den Bocchus uns erweisen kann«, sagte Marius zu Sulla, kurz bevor dieser an Bord ging. »Ich würde viel darum geben, wenn ich an deiner Stelle gehen könnte. Aber da das nun einmal nicht möglich ist, bin ich froh, daß ich einen Mann mit einem so scharfen Verstand schicken kann, wie du ihn hast.«
Sulla grinste. »Sie haben angebissen, und jetzt werde ich nicht mehr lockerlassen.«
»Dann sorg dafür, daß sie sich richtig festbeißen! Bring mir Jugurtha!«
Sulla verließ den Hafen von Rusicade mit großen Hoffnungen und eiserner Entschlossenheit. Mit ihm segelten eine Kohorte römischer Legionäre, eine Kohorte leichtbewaffneter italischer Truppen vom Stamm der Paeligner aus Samnium, eine persönliche Eskorte von balearischen Schlingenwerfern und eine Schwadron der ligurischen Kavallerie, die Publius Vagiennius unterstand. Es war Mitte Mai.
Die ganze Reise über war Sulla sehr unruhig, obwohl er die See und das Segeln liebte. Die Mission würde ein voller Erfolg werden. Er wußte, wieviel sie für seine Zukunft bedeutete, er wußte es so sicher, als hätte man es ihm prophezeit. Sulla hatte sich nie das Schicksal weissagen lassen, obwohl er von Marius oft genug gedrängt wurde, die Syrerin Martha aufzusuchen. Das hatte nichts mit Unglauben oder fehlendem Aberglauben zu tun, denn wie jeder Römer war Lucius Cornelius abergläubisch. Der Grund war seine Angst. Obwohl er den drängenden Wunsch verspürte, ein anderer Mensch möge seine eigenen Vorahnungen über sein außergewöhnliches Schicksal bestätigen, war er sich der Schwächen und dunklen Seiten seines Wesens zu klar bewußt, um eine Weissagung so gelassen hinzunehmen wie Marius.
Als er nun jedoch in die Bucht von Icosium einlief, wünschte er, er hätte mit Martha gesprochen. Seine Zukunft lastete auf ihm wie eine schwere Bürde, und er wußte nicht, ahnte nicht einmal, was sie für ihn bereithielt. Große Dinge. Aber auch Böses. Sulla war einer der wenigen Menschen, die die brütende, greifbare Gegenwart des Bösen fühlen können. Die Griechen diskutierten endlos über die Existenz des Bösen, und viele behaupteten, daß es diese unheimliche Macht gar nicht gebe. Doch Sulla wußte, daß
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