MoR 01 - Die Macht und die Liebe
es existierte. Und er fürchtete sehr, daß es auch in ihm selbst schlummerte.
Die Bucht von Icosium hätte eigentlich eine majestätische Stadt beherrschen müssen, statt dessen lag im hinteren Teil der Bucht, wo zerklüftete Bergketten bis an die Küste reichten, nur ein kleines Städtchen, abseits und durch die Berge geschützt. Während der Regenzeit im Winter strömten an dieser Stelle viele Bäche ins Meer, und mehr als ein Dutzend Inseln lagen wie wunderschöne Schiffe auf dem Wasser, die hohen Zypressen ragten wie Schiffsmasten empor. Ein schöner Ort, dieses Icosium, dachte Sulla.
An dem Küstenstreifen, der an das Städtchen grenzte, warteten ungefähr tausend maurische Berber zu Pferde. Sie waren ausgerüstet wie Numider - keine Sättel, kein Zaumzeug, keine Rüstungen - und trugen nur ein Bündel Speere, Langschwerter und Schilde.
»Ah!« rief Bogud aus, als er und Sulla am Strand landeten, »der König hat seinen Lieblingssohn geschickt, um dich zu begrüßen, Lucius Cornelius.«
»Wie heißt er?« fragte Sulla.
»Volux.«
Der junge Mann ritt heran, bewaffnet wie seine Männer, sein Pferd jedoch mit prachtvollem Sattel und Zaumzeug geschmückt. Sulla gefiel die Art des Prinzen, sein fester Händedruck. Doch wo war der König? Sein geschultes Auge konnte nirgends das übliche Gewimmel und Durcheinander entdecken, das einen Herrscher stets umgab.
»Der König hat sich nach Süden in die Berge zurückgezogen, ungefähr hundert Meilen von hier, Lucius Cornelius«, erklärte der Prinz, während sie zu einem Aussichtspunkt gingen, von wo aus Sulla beobachten konnte, wie seine Truppen und die Ausrüstung ausgeschifft wurden.
Sulla spürte ein Kribbeln auf der Haut. »Die Abmachung des Königs mit Gaius Marius lautete anders«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Volux unsicher. »Aber König Jugurtha hält sich ganz in der Nähe auf.«
Sulla erstarrte. »Ist das eine Falle, Prinz Volux?«
»Nein, nein!« rief der junge Mann und streckte abwehrend die Hände aus. »Ich schwöre bei all unseren Göttern, es ist keine Falle! Aber Jugurtha hat gemerkt, daß etwas vorgeht, weil der König, mein Vater, in Icosium blieb und sich nicht wie angekündigt nach Tingis begeben hat. Jugurtha hat sich mit einer kleinen Armee von Gätulern in den Hügeln eingenistet. Er hat zu wenig Männer, um uns anzugreifen, aber zu viele, als daß wir ihn angreifen könnten. Der König, mein Vater, hat beschlossen, sich von der See zurückzuziehen, und falls Jugurtha ahnt, daß mein Vater einen Römer erwartet, wird er glauben, daß der Römer auf dem Landweg kommt. Jugurtha ist meinem Vater gefolgt. Wir sind sicher, daß er nichts von eurer Ankunft weiß. Es war eine kluge Entscheidung, den Seeweg zu wählen.«
»Jugurtha wird früh genug erfahren, daß ich hier bin«, meinte Sulla grimmig und dachte an die höchst unzulängliche Eskorte von fünfzehnhundert Mann.
»Hoffentlich nicht, oder wenigstens nicht zu bald«, sagte Volux. »Ich habe vor drei Tagen mit tausend Männern das Lager des Königs, meines Vaters, verlassen. Wir haben so getan, als ritten wir zu einem Manöver, und sind hierher an die Küste gezogen. Wir befinden uns nicht offiziell im Krieg mit Numidien, also hat Jugurtha keinen Grund, uns anzugreifen. Er weiß nicht, was der König, mein Vater, vorhat, und er wird den offenen Bruch mit uns nicht riskieren, bevor er Näheres in Erfahrung gebracht hat. Ich versichere dir, daß er bei unserem Lager im Süden bleiben wird und daß seine Kundschafter nicht in die Nähe von Icosium kommen, solange meine Männer in dieser Gegend patrouillieren.«
Sulla warf dem jungen Mann einen zweifelnden Blick zu, aber er behielt seine Gedanken für sich - die Angehörigen des maurischen Königshauses waren nicht gerade praktisch veranlagt. Das qualvoll langsame Ausschiffen machte ihm Sorgen, denn in Icosium gab es nur zwanzig Leichter, so daß die Arbeit mindestens bis morgen um diese Zeit dauern würde. Sulla seufzte und zuckte mit den Schultern. Sinnlos, sich aufzuregen. Entweder Jugurtha wußte, daß er hier war, oder er wußte es nicht.
»Wo genau ist Jugurtha im Moment?« fragte er.
»Ungefähr dreißig Meilen landeinwärts im Süden, auf einer schmalen Ebene in den Bergen. Er hält den einzigen Verbindungsweg zwischen Icosium und dem Lager des Königs, meines Vaters, besetzt«, antwortete Volux.
»Hervorragend! Und wie soll ich zum König, deinem Vater, kommen ohne daß ich erst einmal mit Jugurtha kämpfen
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