MoR 01 - Die Macht und die Liebe
bietest ihm an, daß du mich auslieferst.«
»Er wird mir nicht glauben«, meinte Bocchus verzweifelt.
»Er wird dir glauben! Mein Wort darauf, daß er dir glauben wird. Unter anderen Umständen wäre es genau das, was du tun würdest, König Bocchus.«
»Aber du bist doch nur ein Quästor!«
Sulla lachte. »Willst du damit sagen, daß ein römischer Quästor nicht ebenso wertvoll ist wie ein numidischer König?«
»Nein! Nein, natürlich nicht!«
»Ich werde es dir erklären, König Bocchus«, sagte Sulla betont freundlich. »Ich bin ein römischer Quästor, und es stimmt, daß dies die unterste Stufe der senatorischen Ämterlaufbahn ist. Aber ich bin auch ein Patrizier aus dem Hause Cornelius - meine Familie zählt Scipio Africanus und Scipio Aemilianus zu ihren Vorfahren, und die Reihe meiner Ahnen läßt sich viel weiter zurückverfolgen als deine oder die von Jugurtha. Würde Rom von Königen regiert, würde meine Familie vermutlich zum Herrscherhaus gehören. Außerdem bin ich zufällig Gaius Marius’ Schwager, unsere Söhne sind Vettern ersten Grades. Macht das die Sache verständlicher?«
»Jugurtha - weiß Jugurtha das alles?« wisperte der König.
»Es gibt nicht viel, das Jugurtha entgeht«, erwiderte Sulla, lehnte sich zurück und wartete.
»Nun gut, Lucius Cornelius, ich werde tun, was du vorgeschlagen hast. Ich werde Aspar zu Jugurtha schicken und ihm anbieten, daß ich dich ausliefere.« Der König richtete sich auf, und seine königliche Würde war sichtlich angeschlagen. »Du mußt mir aber genau sagen, was ich tun soll.«
Sulla beugte sich vor und erklärte dem König knapp, wie die Sache vonstatten gehen sollte. »Du wirst Jugurtha bitten, übernächste Nacht hierherzukommen, und ihm versprechen, den römischen Quästor Lucius Cornelius Sulla auszuliefern. Du wirst ihm mitteilen, daß dieser Quästor sich ohne Begleitung in deinem Lager befindet und daß er versucht, dich zu einem Bündnis mit Gaius Marius zu überreden. Jugurtha weiß, daß das stimmt, denn Aspar hält ihn ja auf dem laufenden. Er weiß auch, daß sich im Umkreis von hundert Meilen keine römischen Soldaten befinden, und so wird er sich nicht die Mühe machen, seine Truppen mitzubringen. Und überdies glaubt er dich zu kennen, und er wird nicht im Traum auf die Idee kommen, du könntest ihn verraten.« Sulla tat so, als bemerkte er nicht, wie Bocchus zusammenzuckte. »Jugurtha fürchtet nicht dich oder deine Armee, sondern Gaius Marius. Sei beruhigt, er wird deiner Botschaft glauben, und er wird kommen.«
»Aber was soll ich tun, wenn Jugurthas Männer merken, daß er nicht zurückkehrt?« fragte Bocchus zitternd.
Sulla lächelte unangenehm. »Ich würde dir dringend empfehlen, König Bocchus, eiligst dein Lager abzubrechen und nach Tingis zu marschieren, sobald du mir Jugurtha übergeben hast.«
»Aber wirst du nicht meine Armee brauchen, um Jugurtha gefangenzuhalten?« Noch nie hatte ein Mann Sulla so angstvoll angeblickt. »Du hast keine Männer, wie willst du ihn nach Icosium bringen! Und sein Lager liegt mitten auf deinem Weg.«
»Ich brauche nur ein paar gute Handfesseln und Ketten und sechs deiner schnellsten Pferde«, sagte Sulla.
Sullas Vorfreude auf das Treffen war ungetrübt von Selbstzweifeln und Beklommenheit. Ja, es würde sein Name sein, der für immer mit der Gefangennahme Jugurthas verknüpft wäre! Auch wenn er im Auftrag von Gaius Marius gehandelt hatte, so waren es doch seine Tapferkeit, seine Intelligenz und seine Entschlossenheit, die diese Tat schließlich ermöglicht hatten. Diesen Triumph konnte ihm niemand nehmen. Er glaubte allerdings nicht, daß Gaius Marius versuchen könnte, allen Ruhm für sich allein zu beanspruchen. Gaius Marius war nicht gierig nach Ruhm, er wußte, daß er schon mehr als einen fairen Anteil hatte. Und er würde nichts dagegen haben, wenn die Geschichte von Jugurthas Gefangennahme durchsickerte. Für einen Patrizier war es wichtig, Popularität zu erlangen, wenn er Konsul werden wollte. Und es war schwierig genug, Popularität zu erlangen, weil ein Patrizier nicht Volkstribun werden konnte. Ein Patrizier mußte andere Wege finden, sich einen Namen zu machen und den Wählern zu beweisen, was für ein würdiger Sproß seiner Familie er war. Jugurtha hatte Rom einiges gekostet, und ganz Rom würde erfahren, daß Lucius Cornelius Sulla, der unermüdliche Quästor, den Feind Roms ganz allein gefangengenommen hatte.
Als Sulla Bocchus traf, um mit ihm zu dem
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