MoR 01 - Die Macht und die Liebe
unverständlichen Reden.
Cotta bewährte sich auch in dieser schwierigen Situation, er blieb stolz, unnahbar, bedächtig und sprach mit ruhiger Stimme. Allerdings verwunderte ihn das Auftreten seiner Gegner: Die Germanen schienen es als ganz natürlich und keineswegs als würdelos zu empfinden, daß sie vor Wut rot anliefen, ihre Worte mit Spucken bekräftigten und mit der Faust auf die flache Hand schlugen. Doch es war deutlich, daß die unerschütterliche Ruhe der Römer sie verwirrte und aus dem Konzept brachte.
Vom Anfang der Verhandlungen bis zu ihrem Ende blieb Cottas Antwort gleich: nein. Nein, die Wanderung nach Süden könne nicht fortgesetzt werden, nein, das germanische Volk werde kein Wegerecht durch römisches Gebiet oder römische Provinzen erhalten, nein, sie könnten sich nicht in Spanien niederlassen, es sei denn auf Land der Lusitaner oder der Cantabrer, alles übrige Land in Spanien sei römische Provinz. Geht wieder nach Norden, sagte Cotta immer wieder. Geht nach Hause, wo immer das sein mag. Oder geht über den Rhein nach Germanien und siedelt bei euren eigenen Leuten.
Erst als die Dämmerung völliger Dunkelheit gewichen war, schwangen sich die fünfzig germanischen Häuptlinge wieder auf ihre Pferde und ritten davon. Boiorix und Teutobod ritten als letzte weg, und Boiorix drehte den Kopf, damit er die Römer so lange wie möglich ansehen konnte. Sein Blick zeigte weder Sympathie noch Bewunderung. Aurelius hat recht, dachte Cotta, Boiorix ist ein Achilles, obwohl er diesen Vergleich zunächst seltsam gefunden hatte. Erst im Laufe der Verhandlungen hatte er bemerkt, daß in dem hübschen Gesicht des jungen Mannes die ganze sture, unbarmherzige, rachsüchtige Kraft des Achilles zu finden war. Auch er schien ihm ein Mann, der wegen einer kleinen Kränkung seiner Ehre tatenlos auf seinem Schiff bleiben würde, während seine Landsleute reihenweise abgeschlachtet wurden. Cottas Herz pochte dumpf und verzweifelt - mußte man nicht das gleiche von Quintus Servilius Caepio sagen?
Zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit ging der Vollmond auf. Nachdem die sechs Senatoren die unbequemen Togen abgelegt hatten, nahmen sie ernüchtert und schweigend ihr Abendessen an Aurelius’ Tafel ein, bevor sie wieder nach Süden reiten wollten.
»Wartet bis morgen«, bat Aurelius. »Wir sind hier nicht in Italien, es gibt keine sicheren römischen Straßen, und ihr kennt die Gegend nicht. Auf ein paar Stunden wird es nicht ankommen.«
»Nein, ich möchte bei Sonnenaufgang in Quintus Servilius’ Lager sein«, erwiderte Cotta. »Ich muß noch einmal versuchen, ihn dazu zu bringen, daß er sich Gnaeus Mallius anschließt. Ich werde ihm erzählen, was sich heute hier abgespielt hat. Doch wie Quintus Servilius auch entscheidet, ich werde auf jeden Fall morgen noch zu Gnaeus Mallius zurückreiten. Bevor ich nicht auch mit ihm gesprochen habe, kann ich kein Auge zutun.«
Cotta und Aurelius gaben sich die Hände. Als Cotta und die Senatoren dann mit ihrer Eskorte von Liktoren und Sklaven in die Dunkelheit hinausritten, winkte Aurelius ihnen mit erhobenem Arm lange nach. Im Licht des Mondes und des Lagerfeuers war seine Gestalt deutlich zu erkennen.
Ich werde ihn nicht wiedersehen, dachte Cotta. Ein tapferer Mann, einer der besten Männer Roms.
Caepio hörte Cotta nicht einmal bis zu Ende an, und auf die Stimme der Vernunft hörte er erst recht nicht.
»Ich werde hierbleiben.« Das war seine ganze Antwort.
So machte sich Cotta wieder auf den Weg, ohne auch nur seinen Durst in Caepios halbfertigem Lager gelöscht zu haben. Er wollte spätestens am Mittag bei Gnaeus Mallius Maximus sein.
Noch bevor die Sonne ganz aufgegangen war, während der ergebnislosen Unterredung von Cotta und Caepio, begannen die Germanen vorzurücken. Es war der zweite Tag des Oktobers, das Wetter war immer noch schön, in der Luft lag keine Spur von Kälte. Als die ersten Reihen der germanischen Menschenmassen die Wälle von Aurelius’ Lager erreichten, überrollten sie sie einfach, Welle um Welle, bevor Aurelius begriff, was geschah. Er hatte angenommen, daß er genügend Zeit haben würde, seine Kavallerie zu alarmieren - die höchst sorgfältig befestigten Lagerwälle hätten die Germanen so lange aufhalten müssen, bis er seine Truppen aus dem Hintereingang des Lagers geführt und einen Flankenangriff begonnen hätte. Doch es kam ganz anders. Die Germanen rückten so schnell vor, daß das Lager innerhalb kürzester Zeit vollständig
Weitere Kostenlose Bücher