MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Skeptiker!« entgegnete Rutilius Rufus.
Kurz darauf erfuhr Marius, daß die Germanen keine Anstalten machten, nach Süden in die römische Provinz Gallia Transalpina vorzudringen, mit Ausnahme der Kimbern, die sich allerdings auf das westliche Ufer der Rhône zurückgezogen hatten und sich vom römischen Machtbereich fernhielten. Die Teutonen, so der Bericht von Marius’ Spionen, zogen sich in Richtung Nordwesten zurück, und die Tiguriner, Markomannen und Cherusker waren zu den Häduern und Ambarrern zurückgekehrt und erweckten den Eindruck, als wollten sie von dort nie mehr weg. Natürlich, so wurde in dem Bericht eingeräumt, konnte die Lage sich jeden Moment ändern. Es würde allerdings seine Zeit dauern, bis 800 000 Germanen ihre Habseligkeiten auf Wagen geladen hatten und sich mit ihrem Vieh auf den Weg machen konnten. Auf jeden Fall war nicht zu erwarten, daß irgendwelche Germanen vor Mai oder Juni entlang der Rhône südwärts zogen. Falls sie überhaupt kamen.
Gaius Marius war über den Bericht nur mäßig erfreut. Die Soldaten waren motiviert und fieberten dem Kampf entgegen, seine Legaten hofften auf Bewährung in der Schlacht, und Offiziere und Zenturionen hatten unermüdlich die Kriegsmaschinerie perfektioniert. Obwohl Marius bei seiner Landung in Italien im letzten Dezember von einem germanischen Dolmetscher gehört hatte, daß die Germanen untereinander zerstritten seien, hatte er keinen Augenblick daran gezweifelt, daß sie ihren Vormarsch nach Süden durch die römische Provinz fortsetzen würden. Die Germanen hatten ein großes römisches Heer vernichtet, und es war nur logisch und natürlich, daß sie ihren Sieg jetzt ausnützen und das Territorium besetzen würden, das sie mit der Gewalt ihrer Waffen ja schon gewonnen hatten. Vielleicht wollten sie dort sogar siedeln. Warum sonst der Kampf gegen die Römer? Warum die Wanderung? Warum irgend etwas?
»Sie sind mir ein einziges Rätsel«, sagte er verärgert zu Sulla und Aquilius, als er den Bericht gelesen hatte.
»Sie sind Barbaren«, sagte Aquilius. Er hatte sich seinen Platz als Legat durch den Vorschlag verdient, Marius zum Konsul zu machen, und brannte jetzt darauf, seinen Wert zu beweisen.
Sulla war ungewöhnlich nachdenklich. »Wir wissen viel zu wenig über sie«, sagte er.
»Das habe ich doch gerade gesagt!« fuhr Marius ihn an.
»Nein, ich dachte an etwas anderes. Aber«, Sulla schlug sich auf die Knie - »ich denke noch eine Weile darüber nach, Gaius Marius, bevor ich etwas sage. Schließlich wissen wir nicht, was uns erwartet, wenn wir die Alpen überqueren.«
»Aber gerade das müssen wir beschließen«, sagte Marius.
»Was?« fragte Aquilius.
»Ob wir die Alpen überqueren. Jetzt, da wir wissen, daß die Germanen uns frühestens im Mai oder Juni bedrohen werden, bin ich gar nicht mehr dafür, die Alpen überhaupt zu überqueren. Wenigstens nicht auf dem üblichen Weg. Wir verlassen Rom Ende Januar mit einem großen Troß. Wir werden also nur langsam vorankommen. Das eine muß ich für Metellus Delmaticus als Pontifex Maximus sagen: Er ist ein Kalenderfanatiker, und deshalb stimmen Jahreszeiten und Monate immer überein.« An Sulla gewandt, fragteer: »Hast du diesen Winter gefroren?«
»Und wie, Gaius Marius.«
»Ich auch. Unser Blut ist dünn, Lucius Cornelius. Und dann die ganze Zeit in Africa, wo der Frost nie lange anhält und man Schnee nur auf den höchsten Bergen sieht. Warum sollte es für die Soldaten anders sein? Es wäre eine Strapaze für sie, wenn wir den Mons Genava im Winter überqueren würden.«
»Nach dem Urlaub in der Campania brauchen sie eine Abhärtung«, sagte Sulla ungerührt.
»Natürlich! Aber keine, bei der sie sich die Zehen abfrieren und Frostbeulen an den Fingern bekommen. Man hat zwar Winterkleidung an sie ausgeteilt, aber werden die Bastarde sie auch tragen?«
»Sie werden, wenn man sie dazu zwingt.«
»Du willst mir widersprechen. Auch gut, dann versuche ich nicht mehr, dich durch Vernunft zu überzeugen - dann befehle ich eben. Wir führen die Legionen nicht auf dem üblichen Weg nach Gallia Transalpina. Wir nehmen den Weg entlang der Küste.«
»Bei den Göttern, das wird eine Ewigkeit dauern!« rief Aquilius.
»Wie lang ist es her, seit ein Heer das letzte Mal an der Küste entlang nach Spanien oder Gallien marschiert ist?« fragte Marius ihn.
»Ich kann mich an keinen solchen Marsch erinnern.«
»Siehst du!« sagte Marius triumphierend. »Deshalb tun wir es. Ich will
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