MoR 01 - Die Macht und die Liebe
wissen, wie schwer ein solcher Marsch ist, wie lange er dauert, wie gut die Straßen sind, wie das Gelände beschaffen ist - alles. Ich nehme vier Legionen in leichter Marschordnung, und du, Manius Aquilius, nimmst die anderen zwei Legionen und die Kohorten, die wir zusätzlich aufgestellt haben, und begleitest den Troß. Wenn die Germanen doch wieder nach Süden ziehen und sich dabei nach Italien wenden statt nach Spanien, woher sollen wir wissen, ob sie überden Mons Genava in Gallia Cisalpina einfallen oder entlang der Küste direkt auf Rom marschieren? Sie interessieren sich anscheinend herzlich wenig für unsere Denkweise, woher sollten sie also wissen, daß der schnellste und kürzeste Weg nach Rom nicht entlang der Küste, sondern über die Alpen und das italische Gallien führt?«
Seine Legaten starrten ihn an.
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte Sulla schließlich, »aber warum mit dem ganzen Heer an der Küste entlangziehen? Du, ich und einige Reiter wären dazu besser geeignet.«
Marius schüttelte heftig den Kop£ »Nein! Ich will nicht durch mehrere hundert Meilen unpassierbaren Gebirges von meinemHeer getrennt sein. Wohin ich gehe, geht auch mein ganzes Heer.«
Ende Januar zog Gaius Marius also mit seinem Heer auf der Küstenstraße Via Aurelia nach Norden. Er machte sich auf dem ganzen Weg Notizen und schickte knappe Mitteilungen an den Senat, in denen er verlangte, unverzüglich diesen oder jenen Streckenabschnitt auszubessern und Brücken oder Viadukte zu bauen oder zu verstärken.
Dies hier ist Italien, hieß es in einem solchen Schreiben, deshalb müssen sämtliche Straßen, die nach Norden, nach Gallia Cisalpina und nach Ligurien führen, in perfektem Zustand sein. Sonst werden wir es eines Tages bereuen.
Kurz nach Pisae, wo der Arno ins Meer mündete, kam das Heer aus dem eigentlichen Italien nach Gallia Cisalpina, ein Gebiet mit einem eigentümlichen Status: Es war weder eine offizielle Provinz, noch wurde es wie das übrige Italien regiert. Es war eine Art Vorhölle. Die Straße von Pisae nach Vada Sabatia war neu, aber über große Strecken noch gar nicht fertiggestellt. Mit der Straße hatte sich Aemilius Scaurus als Zensor ein Denkmal gesetzt, sie hieß nach ihm Via Aemilia Scauri. Und Marius schrieb an den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus:
Ich preise Dich für Deine Weitsicht, denn ich halte die Via Aemilia Scauri für einen der bedeutendsten Beiträge zur Verteidigung Roms und Italiens seit der Eröffnung des Passes Mons Genava, und das ist lange her, wenn man bedenkt, daß schon Hannibal den Paß benutzen konnte. Die Abzweigung nach Dertona ist strategisch ungeheuer wichtig, denn sie ist die einzige Verbindung vom Po über den ligurischen Apennin zur tyrrhenischen Küste - der Küste Roms.
Die baulichen Probleme sind enorm. Ich habe mit Deinen Straßenbaumeistern gesprochen, die ich für sehr fähig halte, und schätze mich glücklich, daß ich Dir ihre Bitte um zusätzliche finanzielle Mittel für den Einsatz weiterer Arbeiter auf diesem Abschnitt der Strecke weiterleiten kann. Es müssen einige der höchsten - und längsten - Viadukte gebaut werden, die ich je gesehen habe, eher schon Aquädukte. Zum Glück liefern die Steinbrüche der Umgebung genügend Material, nur die bedauerlich kleine Zahl der Arbeiter verringert das Tempo, in dem die Arbeiten meiner Meinung nach voranschreiten müßten. Darf ich vorschlagen, daß Du mit Deinem gewaltigen Einfluß daraufhinwirkst, daß Senat und Finanzverwaltung Gelder zur Beschleunigung des Projekts bewilligen? Wenn die Straße Ende des kommenden Sommers fertig ist, kann Rom ruhiger schlafen bei dem Gedanken, daß fünfzig Meilen Straße dem Heer im Ernstfall einen Umweg von mehreren hundert Meilen ersparen.
»Da«, sagte Marius zu Sulla, »das müßte den alten Knaben eigentlich glücklich machen und ihm zu tun geben!«
»Zweifellos.« Sulla grinste.
Die Via Aemilia endete in Vada Sabatia; von da an gab es keine Straße im römischen Sinn mehr, nur noch eine Wagenspur. Sie verlief am Rand der Berge, die hier steil ins Meer abfielen, war also der bequemste Weg.
»Du wirst noch bereuen, daß du diesen Weg gewählt hast«, sagte Sulla.
»Im Gegenteil, ich bin froh. Ich sehe hier tausend Möglichkeitenfür einen Hinterhalt, und ich verstehe jetzt, warum kein vernünftiger Mensch auf diesem Weg nach Gallia Transalpina reist und wie unser Publius Vagiennius, der ja von hier stammt, auf der Suche nach seinen
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