MoR 01 - Die Macht und die Liebe
da ist. Aber ich habe Hermana gesagt, sie soll sich nach einem neuen Mann umsehen. Es ist das einzig Angemessene und Sinnvolle. Wenn alles gut geht, werden sie am Leben bleiben. Und meine Jungen werden zu tüchtigen Germanen heranwachsen. Zu wilden Kriegern, wie ich hoffe! Einen Kopf größer als ich! Und wenn das Schicksal sie nicht überleben läßt - na ja, ich werde es nie erfahren.«
»Du hast vollkommen recht, Lucius Cornelius.« Marius sah auf seine Hände, mit denen er den Becher hielt, und stellte erstaunt fest, daß die Knöchel weiß waren.
Sulla musterte ihn amüsiert. »Metellus Numidicus Schweinebackes Anspielungen auf deine niedere Herkunft fallen mir immer dann ein, wenn irgend etwas die bäuerliche Sentimentalität in Wallung bringt, die in dir schlummert.«
Marius funkelte ihn wütend an. »Das Schlimme an dir ist, daß ich nie weiß, was in dir vorgeht! Was deine Beine antreibt, deine Arme bewegt, dich lächeln läßt wie ein Wolf. Und was du wirklich denkst. Das werde ich nie wissen.«
»Wenn es dich tröstet, Schwager: Das weiß auch sonst keiner. Nicht einmal ich weiß es.«
Im November schienen Gaius Marius’ Chancen, im folgenden Jahr Konsul zu werden, auf den Nullpunkt gesunken. Ein Brief von Lucius Appuleius Saturninus zerstörte jegliche Hoffnung, daß er zum dritten Mal in Abwesenheit durch einen Beschluß des Volkes zum Konsul gewählt werden könnte:
Der Senat wird einer dritten Kandidatur nicht tatenlos zusehen. Die meisten Römer sind inzwischen überzeugt, daß die Germanen überhaupt nicht mehr kommen. Die Germanen sind geradezu zu einer neuen Lamia geworden, einem Gespenst, das die Menschen so oft und so lange in Angst und Schrecken versetzt hat, daß sie zuletzt jede Angst verloren haben.
Deine Feinde halten natürlich vor allem gegen Dich, daß Du jetzt schon zwei Jahre in Gallia Transalpina Straßen reparierst und Kanäle gräbst und daß Deine Anwesenheit dort und Deine Armee den Staat mehr Geld kosten, als er sich leisten kann, zumal angesichts der hohen Getreidepreise.
Ich habe mich umgehört, ob Aussicht besteht, daß Du ein drittes Mal in Abwesenheit gewählt wirst. Das Ergebnis war vernichtend. Deine Chancen wären besser, wenn Du persönlich nach Rom kämst. Dann werden Deine Feinde allerdings sagen, daß der sogenannte Notstand in Gallia Transalpina gar kein Notstand ist. Ich tue jedoch für Dich, was ich kann. Ich habe vor allem im Senat um Unterstützung geworben, damit Dein Feldherrnkommando wenigstens mit prokonsularischem Status verlängert wird. Das hieße allerdings, daß Du nächstes Jahr Konsuln über Dir hast. Zu Deiner Belustigung noch dies: Als Favorit der Konsulwahlen für nächstes Jahr gilt Quintus Lutatius Catulus. Die Wähler haben seine jährlichen Bewerbungen so satt, daß sie beschlossen haben, ihn loszuwerden, indem sie ihn diesmal wählen. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Als Marius Saturninus’ kurzen Brief durchgelesen hatte, saß er eine ganze Weile mit gerunzelter Stirn da. Obwohl der Inhalt des Briefes keinerlei Anlaß zur Freude gab, hatte er das vage Gefühl, daß Saturninus ihn in übermütiger Stimmung verfaßt hatte, gerade so, als zähle für ihn Gaius Marius bereits nicht mehr und als wolle er seine Gunst anders verteilen. Gaius Marius war für die Wähler nicht mehr attraktiv. Er hatte keinen politischen Einfluß mehr. Denn die Germanen schienen eine viel geringere Bedrohung als der sizilianische Sklavenkrieg und die Getreideversorgung. Das Gespenst Lamia war tot.
Nein, Lamia war nicht tot. Das konnte Lucius Cornelius Sulla beweisen. Nur was hatte es für einen Zweck, Sulla nach Rom zu schicken, wenn er, Gaius Marius, keine Entschuldigung fand, ihn zu begleiten? Ohne seine Unterstützung und Macht würde Sulla kein Gehör finden. Viele seiner potentiellen Zuhörer mißtrauten Marius und würden über den Gedanken, daß ein römischer Patrizier sich fast zwei Jahre lang als Gallier verkleidet hatte, so schockiert sein, daß sie seinen Worten nicht glauben würden. Nein, entweder sie fuhren beide nach Rom, oder sie führen überhaupt nicht.
Gaius Marius holte ein Blatt Papier, eine Feder und Tinte. Dann schrieb er an Lucius Appuleius Saturninus:
Du magst rehabilitiert sein, Lucius Appuleius, aber vergiß nicht, daß ich es war, der Dir ermöglicht hat zu überleben, bis Du rehabilitiert warst. Du stehst immer noch in meiner Schuld, und ich erwarte, daß Du mir wie ein Klient treu ergeben bist.
Glaube nicht, daß ich sowieso
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