MoR 01 - Die Macht und die Liebe
vereinigen. Boiorix wollte König der Kimbern und der Germanen sein.«
Sulla schenkte sich Wein ein und verdünnte ihn mit Wasser. »Den Frühling und Sommer über zogen wir durch Gallien nach Norden. Wir überquerten die Garonne, die Loire und die Seine und kamen schließlich ins Land der Belgen.«
»Der Belgen!« rief Marius aufgeregt. »Du hast sie gesehen?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Sulla gelassen.
»Sie haben sich sicher bis aufs Messer bekämpft.«
»Überhaupt nicht. König Boiorix hat sich auf eine andere Taktik verlegt. Wir würden sagen, er hat verhandelt. Bis zu unserem Marsch durch Gallien in jenem Sommer haben die Germanen nie Interesse an Verhandlungen bekundet. Jedesmal, wenn ihnen eine römische Armee den Weg verstellte, baten sie durch Abgesandte um die Erlaubnis, unser Gebiet durchqueren zu dürfen. Natürlich haben wir die Erlaubnis immer verweigert. Sie zogen dann davon und kamen nie zu einem zweiten Versuch zurück. Sie haben nie gefeilscht, nie versucht, zu verhandeln oder in Erfahrung zu bringen, ob sie uns durch irgendein Angebot dazu bringen könnten, eine neue Verhandlungsrunde zu eröffnen. Ganz anders Boiorix: Er hat sich die Erlaubnis zum Durchzug der Kimbern durch Gallia Narbonensis in Verhandlungen geholt.«
»Tatsächlich? Was hat er ihnen angeboten?«
»Er hat die Gallier und Belgen mit Fleisch, Milch und Butter gekauft - und mit Feldarbeit. Er tauschte seine Rinder gegen ihr Bier und ihren Weizen und bot die Hilfe seiner Krieger bei der Bestellung zusätzlicher Felder an, damit genug Getreide für alle angebaut werden konnte.«
Marius’ Augenbrauen arbeiteten heftig. »Schlauer Barbar!«
»Das ist er wirklich, Gaius Marius. Wir zogen also in Frieden und Freundschaft weiter. Von der Seine folgten wir der Oise nach Norden, bis wir ins Land der Aduatuker kamen, eines Stammes der Belgen. Die Aduatuker sind, kurz gesagt, Germanen, die an der Maas oberhalb der Mündung der Sambre leben, am Rand eines riesigen Waldes, den die Einheimischen Ardennen nennen. Der Wald erstreckt sich von der Maas nach Osten bis zur Mosel und ist für Nichtgermanen undurchdringlich. Die Germanen des eigentlichen Germanien leben im Wald. Der Wald ist für sie in etwa das, was für uns Befestigungen sind.«
Marius dachte angestrengt nach. Seine Augenbrauen zuckten immer noch unruhig, als führten sie ein eigenes Leben. »Fahre fort, Lucius Cornelius. Unsere germanischen Gegner interessieren mich immer mehr.«
Sulla nickte gelassen. »Das dachte ich mir. Die Cherusker kommen übrigens aus einem Teil Germaniens, der nicht weit vom Land der Aduatuker entfernt ist, und behaupten, sie seien mit den Aduatukern verwandt. Sie haben die Teutonen, Tiguriner und Markomannen überredet, mit ihnen ins Land der Aduatuker zu ziehen, während die Kimbern im Süden vor den Pyrenäen standen. Als wir Kimbern dann aber Ende Sextilis nach Nordgallien kamen, herrschten dort keineswegs Frieden und Eintracht. Die Teutonen hatten sich so mit den Aduatukern und Cheruskern zerstritten, daß es bereits mehrere Scharmützel und nicht wenige Tote gegeben hatte. Haß lag in der Luft, und wir Kimbern konnten geradezu zusehen, wie er täglich wuchs.«
»Aber König Boiorix hat das Problem gelöst.«
»Das hat er wirklich!« Sulla grinste. »Er beruhigte die Aduatuker und berief dann einen großen Rat der wandernden Germanenstämme ein: der Kimbern, Teutonen, Tiguriner, Cherusker und Markomannen. Auf der Versammlung gab er bekannt, daß er ab sofort nicht nur König der Kimbern, sondern König aller Germanen sei. Er mußte einige Zweikämpfe bestehen, allerdings nicht mit den einzigen beiden ernstzunehmenden Rivalen, Teutobod von den Teutonen und Getorix von den Tigurinern. Beide dachten geradezu wie Römer: Sie zogen das Leben dem Tod vor und glaubten, König Boiorix lebend mehr Ungelegenheiten bereiten zu können als tot.«
»Woher hast du das alles?« fragte Marius. »Warst du am Ende selbst ein Häuptling und konntest an den Beratungen teilnehmen?«
Sulla versuchte bescheiden dreinzusehen, auch wenn Bescheidenheit nicht gerade seine hervorstechendste Eigenschaft war. »Ich war tatsächlich ein Häuptling. Versteh mich recht: kein besonders großer Häuptling, gerade groß genug, daß ich zu den Beratungen eingeladen wurde. Meine Frau Hermana - sie ist übrigens eine Cheruskerin, keine Kimberin - gebar Zwillinge, als wir an die Maas kamen, zwei Jungen, und das galt als so gutes Omen, daß ich gerade rechtzeitig vom kleinen
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