MoR 01 - Die Macht und die Liebe
keine Kinder hatte. Ihr Mann war Häuptling seines kimbrischen Stammes gewesen; nur als Witwe eines Häuptlings wurde sie, die Angehörige eines fremden Stammes, überhaupt geduldet. Aber sie besetzte einen Platz, den eigentlich eine kimbrische Frau hätte besetzen sollen, und die aufgebrachten kimbrischen Frauen waren drauf und dran gewesen, ihr einen Schlag über den Kopf zu geben, als Sulla auf der Bühne erschien. Er kletterte in ihren Wagen und zeigte so, daß er sie wollte - und rettete ihr damit das Leben. Sie waren beide Fremde. Er hatte sie nicht ausgewählt, weil sie ihm gefiel oder weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, sondern aus Berechnung. Sie brauchte ihn mehr als eine kimbrische Frau, und sie war zugleich dem Stamm weniger verbunden als eine kimbrische Frau. Sollte sie also jemals herausfinden, daß er in Wahrheit ein Römer war, würde sie eher schweigen als eine kimbrische Frau.
Hermana wirkte im Vergleich zu den anderen germanischen Frauen sehr einfach. Die meisten Germaninnen waren groß, von kräftigem und doch zu gleich anmutigem Körperbau und hatten lange Beine und hohe Brüste. Ihr Haar war flachsfarben, und sie hatten tiefblaue Augen. Ihre Gesichter waren nicht unschön, wenn man von ihren häßlichen breiten Mündern und ihren geraden, kleinen Nasen absah. Hermana jedoch war beträchtlich kleiner als Sulla, der für einen Römer mit knapp sechs Fuß ziemlich groß war - Marius war mit über sechs Fuß noch größer - und plumper als ihre germanischen Geschlechtsgenossinen. Sie hatte ungewöhnlich kräftiges und langes Haar in einem schwer bestimmbaren braungrauen Farbton - mausgrau. Ihre Augen waren ebenfalls braungrau und paßten zu ihrem Haar. Im übrigen jedoch wirkte sie ausgesprochen germanisch - ihr Kopf gut geformt und ihre Nase kurz, gerade und fein geschnitten. Sie war dreißig Jahre alt und bisher unfruchtbar gewesen; das hätte ihr Tod sein können. Doch ihr Mann, der Stammesfürst, hatte sich geweigert, sie wegzuschicken. Auf den ersten Blick war nicht erkennbar, wodurch sich Hermana so auszeichnete, daß sie von zwei ungewöhnlichen Männern hintereinander ausgewählt wurde. Ihr erster Ehemann hatte sie interessant und andersartig gefunden, aber ihre Qualitäten nicht genauer bezeichnen können. Sulla hielt sie für eine geborene Aristokratin, eine gezierte, hochnäsige Dame, die dennoch eine starke sexuelle Anziehungskraft besaß.
Sie paßten hervorragend zueinander. Hermana war intelligent genug, um keine Ansprüche zu stellen, empfindsam genug, um ihm nicht auf die Nerven zu fallen, leidenschaftlich genug, um ihm im Bett Vergnügen zu bereiten, wortgewandt genug, um eine interessante Gesprächspartnerin zu sein, und fleißig genug, um ihm keine zusätzlichen Mühen zu bereiten. Hermanas Tiere wurden ordentlich gepflegt, gebrandmarkt, gemolken, gepaart. Hermanas Wagen befand sich in hervorragendem Zustand, seine Leinwand war immer gespannt und geflickt. Sie ölte die hölzerne Deichsel regelmäßig und schmierte die Achsen und Achsnägel der großen Wagenräder mit einer Mischung aus Butter und Rinderfett, nie fehlten Speichen oder Teile des Rades. Hermana hielt ihre Töpfe, ihr Geschirr und ihre Gefäße sauber, sie schützte ihre Vorräte vor Feuchtigkeit und vor Plünderern; ihre Kleider und Decken waren immer frisch gelüftet und ausgebessert, ihre Schlachtmesser waren scharf, und selbst Kleinigkeiten verlegte sie nie. Hermana war alles, was Julilla nicht war. Nur war sie keine Römerin von aristokratischem Geblüt.
Als Hermana feststellte, daß sie schwanger war - tatsächlich war sie sofort schwanger geworden -, freuten sich beide darüber. Hermana war auch deshalb glücklich, weil sie jetzt in den Augen des Stammes, zu dem sie nicht gehörte, gerechtfertigt war, denn die Schuld an ihrer früheren Unfruchtbarkeit konnte jetzt dem toten Häuptling zugewiesen werden. Die anderen Frauen waren jedoch weniger begeistert, denn sie haßten Hermana. Doch das spielte keine Rolle mehr, denn im nächsten Frühjahr, als die Kimbern nach Norden zum Gebiet der Aduatuker aufbrachen, wurde Sulla Häuptling. Hermana hatte also außerordentlich viel Glück.
Nach einer anstrengenden, aber klaglos ertragenen Schwangerschaft gebar Hermana im Sextilis Zwillinge, große, gesunde, rothaarige Jungen. Sulla nannte den einen Herman, den anderen Cornel. Er zermarterte sich das Hirn, um einen Namen zu finden, der in irgendeiner Weise den Namen seines Geschlechts, Cornelius, fortsetzte und
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