MoR 01 - Die Macht und die Liebe
soll ich gehen?« fragte Sulla erschrocken.
»Nur so weit, wie du gehen mußt. Ich leite das Thema ein und fasse meine Folgerungen zusammen. Du bestätigst ihre Richtigkeit, aber so, daß der Senat nicht erfährt, daß du dich als Barbar getarnt hast.« Marius schien das zu bedauern. »Manche Dinge bleiben am besten ungesagt, Lucius Cornelius. Sie kennen dich noch nicht gut genug, um zu verstehen, was für ein Mann du bist. Gib ihnen nichts in die Hand, was sie später gegen dich verwenden könnten. Du bist ein patrizischer Römer. Laß sie also glauben, daß du auch bei deinen kühnsten Taten als patrizischer Römer aufgetreten bist.«
Sulla schüttelte den Kopf. »Es ist absolut unmöglich, sich zwischen die Germanen zu schleichen, wenn man wie ein römischer Patrizier auftritt!«
»Das wissen sie doch gar nicht«, grinste Marius. »Erinnerst du dich, was Publius Rutilius in seinem Brief schrieb? Er bezeichnete sie als Sandkasten-Feldherrn auf den Hinterbänken. Nun, auf den Vorderbänken sitzen auch nur Sandkasten-Feldherrn. Sie würden die Grundregeln des Spionierens nicht einmal dann verstehen, wenn man sie ihnen zwischen die Hinterbacken stecken würde!« Marius lachte. »Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn du deinen Schnurrbart und dein langes Haar noch eine Weile behalten hättest. Ich hätte dich wie einen Germanen eingekleidet und auf dem Forum vorgeführt. Du weißt, was dann passiert wäre?«
Sulla seufzte. »Ja. Niemand hätte mich erkannt.«
»Richtig. Also dürfen wir ihrer römischen Vorstellungskraft nicht zuviel zumuten. Ich werde zuerst sprechen, du bekommst von mir dein Stichwort.«
Rom bot Sulla weder die politische Herausforderung, noch die häusliche Wärme, die es Gaius Marius zu bieten hatte. Trotz seiner hervorragenden Leistungen als Quästor - unter Marius - und seiner ungewöhnlichen Karriere als Spion - ebenfalls unter Marius - war er nichts weiter als ein junger Aufsteiger im Senat, der im Schatten des Ersten Mannes von Rom stand. Auch seine politische Laufbahn verlief keineswegs schnell genug, schon gar nicht, wenn man seinen späten Eintritt in den Senat berücksichtigte. Er war Patrizier, deshalb konnte er nicht Volkstribun werden, für die Ädilität hatte er nicht genug Geld, und er war noch nicht lange genug Senator, um für das Amt des Prätors zu kandidieren. Das war die politische Seite. Zu Hause lebte er in einer bitteren und nervtötenden Atmosphäre, mit einer Frau, die dem Trunk ergeben war und ihre Kinder vernachlässigte, und einer Schwiegermutter, die ihn ebensosehr verabscheute, wie sie ihr ganzes Leben als Witwe verabscheute.
Sulla war immerhin nicht so deprimiert, daß er die Hoffnung aufgegeben hatte, seine politische Lage werde sich eines Tages verbessern. Doch das häusliche Klima konnte sich nur immer weiter verschlechtern. Die Rückkehr nach Rom fiel ihm diesmal noch schwerer, weil er seine germanische Frau gegen seine römische eintauschen mußte. Ein Jahr lang hatte er mit Hermana in einer Gesellschaft zusammengelebt, die sich von seiner aristokratischen Welt noch stärker unterschied, als sich seine alte Umgebung in der Subura davon unterschieden hatte. Und Hermana war sein Trost, seine Festung, sein einziger normaler Bezugspunkt in dieser bizarren barbarischen Welt gewesen.
Es war Sulla nicht schwergefallen, sich an den Kometenschweif der Kimbern zu heften, denn er war nicht nur ein mutiger und körperlich starker Krieger, sondern auch ein Mann mit Verstand. Viele Germanen hatten ihn an Mut und Körperkraft übertroffen, doch sie waren wie Roheisen, während er wie geschliffener Stahl war - listig und mutig, glatt und stark zugleich. Sulla war der kleine Mann, der dem Riesen gegenübertrat, er setzte sich mit seinem Kopf im Kampf durch. Deshalb war er auf dem Schlachtfeld gegen die spanischen Stämme der Pyrenäen sofort aufgefallen und in den Kreis der Krieger aufgenommen worden.
Sulla und Sertorius wollten sich dieser fremden Gesellschaft anpassen, in ihr aufsteigen und schließlich an den politischen Entscheidungen der Germanen, soweit davon überhaupt gesprochen werden konnte, beteiligt sein. Sie waren überzeugt, daß sie deshalb nicht nur einfache Krieger bleiben durften, sie mußten für sich einen Platz im Stammesleben finden. Deshalb trennten sie sich, schlossen sich verschiedenen Stämmen an und nahmen sich Frauen, die seit kurzem verwitwet waren. Sein Auge war auf Hermana gefallen, weil auch sie eine Außenseiterin war und weil sie
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