MoR 01 - Die Macht und die Liebe
nicht nach Rom kommen kann. Vielleicht ergibt sich doch noch eine Gelegenheit. Ich erwarte zumindest, daß Du so handelst, als würde ich tatsächlich kommen. Denn das will ich von Dir: Vordringlich ist es zunächst, die Konsulwahlen zu verschieben. Für Dich und Gaius Norbanus als Volkstribunen ist das keine Schwierigkeit. Du wirst also dafür sorgen. Vorbehaltlos. Mit ganzem Einsatz. Wenn das geschehen ist, erwarte ich, daß Du den Verstand benützt, mit dem Du geboren bist, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Senat und Volk unter Druck setzt. Sie sollen mich nach Rom rufen.
Ich komme nach Rom, sei dessen versichert. Wenn Du also in ein höheres Amt als das des Volkstribunen aufsteigen willst, so rate ich Dir, weiterhin mit mir zusammenzuarbeiten.
Ende November war Fortuna Gaius Marius hold: Ein Wind aus Ost trug ihm einen zweiten Brief des Saturninus zu. Der Brief traf per Schiff zwei Tage vor dem Kurier mit dem offiziellen Schreiben des Senats in Glanum ein. Diesmal klang Saturninus sehr unterwürfig:
Ich habe daran keinen Zweifel Gaius Marius, daß Du nach Rom kommen wirst. Nicht einmal einen Tag, nachdem ich Deinen tadelnden Brief erhalten hatte, verstarb überraschend Dein ehrenwerter Mitkonsul Lucius Aurelius Orestes. Und da mir Deine mahnenden Worte noch im Ohr klangen, nutzte ich die Gelegenheit und brachte den Senat dazu, Dich zurückzurufen. Das entsprach nicht den Plänen unserer konservativen Politiker. Sie hatten den Vorsitzenden dafür gewonnen, den eingeschriebenen Vätern die Berufung eines consul suffectus auf den Elfenbeinstuhl zu empfehlen, der durch den Tod des Orestes vakant geworden war. Doch welch glückliche Fügung! Nur einen Tag zuvor hatte Scaurus im Senat eine lange Rede gehalten und behauptet, daß Deine Anwesenheit in Gallia Transalpina einen Affront gegen die Glaubwürdigkeit aller Optimaten darstelle. Außerdem, sagte Scaurus, habest Du die Panik wegen des angeblich bevorstehenden Einfalls der Germanen bewußt ausgelöst, weil Du zum Diktator gewählt werden wollest. Natürlich änderte Scaurus in dem Augenblick seine Meinung, in dem Orestes starb - in Anbetracht der Bedrohung durch die Germanen könne es der Senat nicht wagen, Dich zurückzurufen, nur damit Du hier Deine Funktionen bei der Wahl eines Konsuls ausüben könnest. Der Senat müsse nun doch einen consul suffectus ernennen, bis die Wahlen stattfinden könnten.
Ich hatte noch keine Zeit gefunden, meinen Einfluß als Tribun geltend zu machen, um die Wahlen zu verschieben, und jetzt war das auch gar nicht mehr nötig. Stattdessen meldete ich mich im Senat zu Wort und hielt eine sehr gute Rede, in der ich erklärte, der ehrenwerte Senatsvorsitzende müsse sich endlich entscheiden. Entweder gebe es eine germanische Bedrohung, oder es gebe keine. Ich sagte, meiner Meinung nach habe er in seiner gestrigen Rede seine feste Überzeugung zum Ausdruck gebracht - daß es keine germanische Bedrohung gebe und demzufolge auch keine Notwendigkeit, den Stuhl des verstorbenen Konsuls mit einem suffectus zu besetzen. Nein, sagte ich, Gaius Marius müsse zurückgerufen werden, Gaius Marius solle endlich das tun dürfen, wozu er gewählt worden sei - nämlich die Pflichten eines Konsuls wahrzunehmen. Ich brauchte Scaurus gar nicht mehr vorzuwerfen, daß er seine Meinung angesichts der neuen Umstände von einem Tag auf den anderen geändert hatte. Alle verstanden, wie meine Rede gemeint war.
Ich hoffe, daß dieser Brief noch vor dem Kurier des Senats bei Dir eintrifft. In dieser Jahreszeit geht der Postweg über das Meer schneller als über die Straße. Du könntest natürlich auch aus der Mitteilung des Senats entnehmen, wie die Abfolge der Ereignisse war. Aber wenn mein Brief vor dem Kurier des Senats ankommt, gewinnst Du noch etwas Zeit, um Deinen Wahlkampf in Rom vorzubereiten. Selbstverständlich bringe ich hier auch unter den Wählern die Dinge in Bewegung, und wenn Du dann in Rom bist, wirst Du eine beachtliche Gruppe führender Köpfe des Volkes vorfinden, die Dich bitten werden, daß Du wieder für das Konsulat kandidierst.
»Jetzt kommt die Sache ins Rollen!« Marius warf Sulla triumphierend Saturninus’ Brief hin. »Du kannst schon mit dem Packen anfangen - wir dürfen keine Zeit verlieren. Du wirst dem Senat mitteilen, daß die Germanen im Herbst nächsten Jahres an drei Fronten in Italien einfallen werden, und ich werde den Wahlmännern erklären, daß nur ich die Germanen aufhalten kann.«
»Wie weit
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