MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Anna Perenna heiraten.«
Ein angemessener Tag für eine Hochzeit - und gleichzeitig ein unglückbringender Tag. Das Fest der Göttin Anna Perenna, das in der ersten Vollmondnacht im März gefeiert wurde, hing mit dem Zyklus des Mondes und dem alten Neujahr zusammen. Der Feiertag galt als Glückstag, doch der Tag danach war ein Unglückstag.
»Hast du keine Angst, daß der erste Tag deiner Ehe dir schlechte Omen bringt?«
»Nein«, antwortete Julia. »Eine Heirat mit dir steht unter einem guten Omen.«
Sie schob ihre linke Hand unter seine rechte, so daß ihre Hände jetzt ineinander verschlungen waren, und blickte ernst zu ihm auf. »Meine Mutter hat mir nur wenig Zeit mit dir allein gegeben, und bevor sie kommt, muß ich noch etwas mit dir besprechen. Meine Mitgift.« Ihr Lächeln erstarb und machte einer ernsten Miene Platz. »Ich glaube nicht, daß unsere Ehe unglücklich wird, Gaius Marius. Ich zweifle nicht im geringsten an deiner Absicht und Integrität, und du wirst ebensowenig an meiner zu zweifeln haben. Meine Mutter besteht aber auf einer Mitgift. Sie meint, ich müsse eine Mitgift haben, für den Fall, daß du dich je von mir scheiden läßt. Mein Vater ist von deiner Großzügigkeit so überwältigt, daß er es nicht über sich bringt, noch mehr zu fordern. Deshalb habe ich, mich bereit erklärt, mit dir darüber zu sprechen, und das muß jetzt sein, bevor Mama hereinkommt, denn sie wird ganz bestimmt darauf zu sprechen kommen.«
In ihrer Miene war keine Habgier, nur Sorge zu erkennen. »Wäre es möglich, daß du zu diesem Zweck einen Betrag beiseite legst? Wenn wir, wie ich sicher annehme, nicht geschieden werden, können wir beide darüber verfügen, im Falle einer Scheidung würde das Geld mir zustehen.«
Eine echte Römerin! Die Worte wohlgesetzt, anmutig und freundlich, aber kristallklar.
»Ich denke, das müßte möglich sein«, sagte er ernst.
»Du mußt dich natürlich absichern, daß ich während unserer Ehe keine Verfügungsgewalt darüber habe.«
»Es soll geschehen, wie du es wünschst«, sagte er. »Aber ich brauche keine Absicherung. Ich überschreibe dir mit Freuden einen Betrag auf deinen Namen, über den du nach eigenem Gutdünken verfügen kannst.«
Sie mußte lachen. »Gut, daß du mich gewählt hast und nicht Julilla! Nein danke, Gaius Marius. Ich ziehe den ehrenhaften Weg vor.« Sanft sah sie zu ihm auf. »Willst du mir jetzt einen Kuß geben, bevor meine Mutter hereinkommt?«
Über die Mitgift hatte er ganz ruhig gesprochen, aber die Bitte um einen Kuß brachte ihn aus der Fassung. Er durfte Julia nicht enttäuschen. Aber was wußte er schon von Küssen und von der Liebe? Er hatte sich nie dafür interessiert, was seine sporadischen Geliebten von seinen Küssen und seinen Liebeskünsten hielten, und er hatte keine Ahnung, was ein junges Mädchen von seinem ersten Geliebten erwartete. Sollte er sie an sich reißen und leidenschaftlich küssen? Sollte er eher zart und zurückhaltend sein? Was erwartete Julia von ihm? Er wußte nur, daß es ihm sehr wichtig war, ihr zu gefallen.
Schließlich trat er ganz nah an sie heran und neigte den Kopf. Nicht sehr tief, denn sie war ungewöhnlich groß. Ihre geschlossenen Lippen fühlten sich kühl an, weich und samtig. Er löste sein Dilemma, indem er instinktiv die Augen schloß und passiv empfing, was sie zu geben bereit war. Für Julia war es eine völlig neue Erfahrung, der sie sich öffnete, ohne zu wissen, was sie barg, denn Caesar und Marcia hatten ihre Töchter sehr behütet erzogen.
Als sie ihre Hände aus seinen Händen zog, ließ er sie sofort los und wollte einen Schritt zurücktreten. Sie aber hob die Arme und legte sie ihm um den Hals. Der Kuß wurde inniger. Julia öffnete leicht die Lippen, und Marius umfing ihren Körper mit seinen Armen. Nach einer Weile lösten ihre Lippen sich wie von selbst voneinander.
Als Marcia geräuschlos das Zimmer betrat, konnte sie nichts Unlauteres an der Umarmung finden. Gaius Marius’ Mund berührte Julias Wange, Julia stand mit geschlossenen Augen da, zufrieden wie eine Katze, die sich still streicheln läßt.
Ganz ohne Verlegenheit lösten sie sich aus der Umarmung und wandten sich Marcia zu, die zumindest in Marius’ Augen ausgesprochen finster dreinblickte. Er vermutete, daß sie ihre Tochter lieber mit einem Mann aus ihrer Klasse verheiratet hätte, selbst wenn dann kein Geld in die Familie gekommen wäre. Doch er fühlte sich in diesem Augenblick so glücklich, daß er leicht
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