MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Charakter. Caesar bezweifelte, daß Sulla wirklich wissen wollte, was er mit seiner Stiefmutter machen sollte, die einem Gerücht zufolge auch noch seine Geliebte war. In diesem Punkt wollte er freilich kein Urteil fällen. Wenn Sulla hierherkam und um Hilfe bat, deutete das eher darauf hin, daß das Gerücht eine Lüge war, typischer Palatin-Klatsch. Genauso wie das Geschwätz, demzufolge Sulla zu Clitumna und Nikopolis sexuelle Beziehungen unterhalten hatte - und auch noch gleichzeitig! Marcia hatte so etwas angedeutet, aber als Caesar in sie gedrungen war, hatte sie ihm keine konkreten Beweise liefern können. Caesar aber wollte nicht bloßen Gerüchten glauben. Eindeutige Beweise waren eine Sache, bloßes Gerede eine ganz andere. Und doch lag ein falscher Ton darin, daß Sulla ihn heute aufsuchte und um Rat bat.
An dieser Stelle dämmerte Caesar eine mögliche Antwort. Daß ein Mann wie Sulla beim Anblick eines ausgemergelten jungen Mädchens in Ohnmacht fiel, war doch höchst ungewöhnlich! Und dann die seltsame Geschichte mit dem Graskranz. Caesar wußte natürlich, was so ein Kranz bedeutete. Vielleicht waren die beiden nur ein paarmal im Vorübergehen zusammengekommen, aber irgend etwas war zwischen ihnen im Gang, und das mußte er sorgfältig beobachten. Natürlich konnte er keine Beziehung zwischen den beiden dulden. Wenn sie sich zueinander hingezogen fühlten, war das ihr Pech. Julilla würde einen Mann heiraten, der hoch erhobenen Hauptes in den Kreisen verkehren konnte, zu denen Caesars Familie gehörte.
Während Caesar diese Überlegungen anstellte, fragte sich Sulla, an was Caesar denken mochte. Wegen Julilla war das Gespräch nicht so verlaufen, wie er geplant hatte, nicht einmal annähernd so. Wie konnte er nur so wenig Selbstbeherrschung haben? In Ohnmacht fallen! Er, Lucius Cornelius Sulla! Nachdem er sich so verraten hatte, war ihm keine andere Wahl geblieben, als dem wachsamen Vater eine Erklärung dafür zu liefern, und das wiederum hatte bedeutet, einen Teil der Wahrheit zu sagen. Hätte es Julilla geholfen, hätte er die ganze Wahrheit gesagt, aber er glaubte nicht, daß Caesar die Lektüre ihrer Briefe Freude machen würde. Sulla hatte sich in eine schwierige Lage gebracht und war darüber keineswegs erfreut.
»Hast du dir überlegt, wie du Clitumna helfen könntest?« fragte Caesar.
Sulla runzelte die Stirn. »Sie hat ein Landhaus in Circei, und ich habe mir gedacht, sie könnte dorthin gehen und eine Weile dort bleiben.«
»Und warum kommst du damit zu mir?«
Sulla sah, wie sich unter seinen Füßen ein Abgrund auftat, und versuchte, ihn zu überspringen. »Du hast ganz recht, Gaius Julius. Warum komme ich zu dir? Die Wahrheit ist, daß ich zwischen Scylla und Charybdis festsitze und hoffte, du würdest mir eine rettende Hand entgegenstrecken.«
»Wie kann ich dich retten?«
»Ich glaube, daß Clitumna an Selbstmord denkt.«
»Oh.«
»Die Frage ist, was kann ich dagegen tun? Ich bin ein Mann, und seit Nikopolis tot ist, gibt es buchstäblich keine Frau in Clitumnas Haus oder Familie mehr, der Clitumna sich anvertrauen könnte, nicht einmal unter ihrer Dienerschaft.« Die Worte kamen jetzt ganz von selbst. »Rom ist gegenwärtig nicht der richtige Platz für sie, Gaius Julius! Aber wie kann ich sie nach Circei schicken ohne die Begleitung einer zuverlässigen Frau? Ich bin nicht sicher, ob sie derzeit überhaupt meine Gesellschaft will, außerdem habe ich... Ich habe verschiedene Dinge in Rom zu erledigen. Ich habe mir überlegt, ob deine Frau vielleicht bereit wäre, Clitumna für ein paar Wochen nach Circei zu begleiten... Das Landhaus ist sehr gut ausgestattet, und das Klima in Circei ist das ganze Jahr über gut für die Gesundheit! Es könnte auch deiner Frau guttun, ein wenig Seeluft zu atmen.«
Caesar entspannte sich sichtlich. Er wirkte, als sei eine ungeheure Last von seinem gebeugten Rücken verschwunden. »Ich verstehe, Lucius Cornelius, ich verstehe. Ich verstehe dich besser, als du denkst. Meine Frau könnte Clitumna tatsächlich eine Hilfe sein, aber leider kann ich sie nicht entbehren. Du hast Julilla gesehen, ich brauche dir nicht zu sagen, wie verzweifelt wir über sie sind.«
Sulla sah ihn bittend an. »Könnte Julilla nicht mit den beiden Frauen nach Circei gehen? Eine Luftveränderung wirkt oft Wunder!«
Caesar schüttelte den Kopf. »Nein, Lucius Cornelius, ich fürchte, das geht nicht. Ich bin bis zum Frühjahr an Rom gebunden. Ich kann meine Frau und
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