MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Freunde und Nachbarn. Du hast uns an den Rand des Wahnsinns gebracht. Und wofür? Kannst du mir sagen, wofür?«
»Nein«, flüsterte sie.
»Unsinn! Natürlich kannst du das sagen! Du hast ein Spiel mit uns getrieben, Julilla. Ein grausames und selbstsüchtiges Spiel. Du hast es mit einer Geduld und einer Intelligenz betrieben, die einer edleren Sache würdig wären. Du hast dich - mit sechzehn Jahren! in einen Mann verliebt, von dem du genau wußtest, daß er nicht zu dir paßt und daß ich ihn nie billigen würde. Einen Mann, der selbst wußte, daß er nicht zu dir paßt, und der dich in keiner Weise ermutigt hat. Also hast du dich dazu entschlossen, mit Täuschung vorzugehen, mit Schläue, mit... Mir fehlen die Worte, Julilla.« Caesar verstummte.
Seine Tochter zitterte.
Seine Frau zitterte.
»Ich glaube, ich muß deinem Gedächtnis nachhelfen, Tochter. Weißt du, wer ich bin?«
Julilla antwortete nicht, ließ nur weiter den Kopf hängen.
»Sieh mich an!«
Sie hob das Gesicht und richtete ihre tränennassen Augen auf Caesar. Ihr Blick war verschreckt und wild.
»Nein, ich sehe, daß du nicht weißt, wer ich bin«, sagte Caesar. »Deshalb muß ich es dir sagen, Tochter. Ich bin der pater familias , das Oberhaupt dieses Hauses. Mein Wort ist hier Gesetz. Kein Gericht kann es aufheben. Was immer ich im Bereich dieses Hauses zu sagen und zu tun beliebe, kann ich sagen und tun. Kein Gesetz des Senats und des römischen Volkes steht zwischen mir und meinem Haushalt, meiner Familie. Die römische Familie steht unantastbar über jedem Gesetz, außer dem Gesetz des pater familias . Wenn meine Frau Ehebruch begeht, Julilla, kann ich sie töten oder töten lassen. Wenn sich mein Sohn der sittlichen Verworfenheit oder einer anderen Verfehlung schuldig macht, kann ich ihn töten oder töten lassen. Wenn meine Tochter unkeusch ist, Julilla, kann ich sie töten oder töten lassen. Wenn irgendein Mitglied meines Haushalts die Grenzen dessen überschreitet, was ich als sittliches Benehmen betrachte, kann ich diese Person töten oder töten lassen. Verstehst du mich, Julilla?«
Ihre Augen waren nicht von seinem Gesicht gewichen. »Ja«, sagte sie.
»Es betrübt mich und beschämt mich, dir mitteilen zu müssen, daß du die Grenzen dessen überschritten hast, was ich als sittliches Benehmen betrachte, Tochter. Du hast deine Familie und die Diener dieses Hauses und vor allem den pater familias zu deinen Opfern gemacht, deinen Marionetten, deinem Spielzeug. Und warum? Aus Selbstsucht, zu deiner persönlichen Befriedigung, aus dem niedrigsten aller Motive - allein um deiner selbst willen.«
»Aber ich liebe ihn, tata!« rief sie.
Caesar fuhr auf. »Liebe? Was weißt du von Liebe, Julilla? Wie kannst du das Wort ›Liebe‹ mit dem niedrigen Abklatsch der Empfindung besudeln, den du erfahren hast? Ist es Liebe, wenn du deinem Geliebten das Leben zur Hölle machst? Ist es Liebe, wenn du deinen Geliebten zu einer Verbindung drängst, die er nicht will? Ist irgend etwas davon Liebe, Julilla?«
»Wahrscheinlich nicht«, flüsterte sie, »aber ich habe geglaubt, es sei Liebe.«
Die Augen von Caesar und Marcia trafen sich über Julillas Kopf, voller quälenden, bitteren Schmerzes, weil die Eltern in diesem Moment Julillas Beschränktheit erkannten und begriffen, daß sie sich selbst Illusionen gemacht hatten.
»Glaub mir, Julilla, was immer du gefühlt hast und was immer dich zu diesem schäbigen und unehrenhaften Benehmen veranlaßt hat, Liebe war es nicht«, sagte Caesar und stand auf. »Ab jetzt gibt es keine Kuhmilch mehr, keine Eier und keinen Honig. Du wirst essen, was die übrige Familie auch ißt. Oder du ißt nichts. Es ist mir gleichgültig. Ich verstoße dich nicht, und ich werde dich nicht töten oder töten lassen. Aber von diesem Augenblick an liegt alles, was du tust, allein in deiner Verantwortung. Du hast mir und den Meinen Schaden zugefügt, Julilla, und was vielleicht noch unverzeihlicher ist, du hast einem Mann Schaden zugefügt, der dir nichts schuldig ist, denn er kennt dich nicht und ist nicht mit dir verwandt. Später, wenn dein Anblick weniger abstoßend ist, werde ich von dir verlangen, daß du dich bei Lucius Cornelius Sulla entschuldigst. Ich verlange keine Entschuldigung von dir bei uns oder deinen Geschwistern, denn du hast unsere Liebe und unsere Achtung verloren, und damit sind Entschuldigungen wertlos.«
Er verließ das Zimmer.
Julilla wandte sich instinktiv ihrer Mutter zu und wollte sich
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