MoR 01 - Die Macht und die Liebe
meine Tochter nicht allein nach Circei gehen lassen. Nicht, weil ich ihnen die Abwechslung nicht gönne, sondern weil ich mich während ihrer Abwesenheit ständig um sie sorgen würde. Wenn Julilla gesund wäre, wäre es anders. Aber so... nein.«
»Ich verstehe dich, Gaius Julius, und ich versichere dich meines Mitgefühls.« Sulla stand auf.
»Schick Clitumna nach Circei, Lucius Cornelius. Sie wird schon zurechtkommen.« Caesar brachte seinen Gast zur Tür.
»Danke für deine Nachsicht mit meinem törichten Anliegen«, sagte Sulla.
»Aber nicht doch. Ich bin froh, daß du gekommen bist. Ich glaube sogar, ich weiß jetzt besser, wie ich meine Tochter behandeln muß. Und ich gestehe, daß du mir durch die Ereignisse dieses Morgens sympathisch geworden bist, Lucius Cornelius. Halte mich auf dem laufenden über Clitumna.« Caesar reichte ihm lächelnd die Hand.
Sobald sich die Tür hinter Sulla geschlossen hatte, machte sich Caesar auf die Suche nach Julilla. Sie saß im Wohnzimmer ihrer Mutter und schluchzte verzweifelt, den Kopf in den Armen vergraben. Als Caesar in der Tür erschien, legte Marcia einen Finger an die Lippen, und zusammen gingen sie leise aus dem Zimmer.
»Gaius Julius, es ist schrecklich«, sagte Marcia und preßte die Lippen zusammen.
»Haben sie sich getroffen?«
Eine brennende Röte stieg unter Marcias hellbrauner Haut auf, und sie schüttelte so heftig den Kopf, daß einige Haarnadeln zu Boden fielen und ihre Haare, die sie hochgesteckt hatte, herunterfielen. »Nein, sie haben sich nicht getroffen!« Sie rang die Hände. »Ach, wie beschämend! Wie demütigend!«
Caesar faßte ihre Hände. »Beruhige dich, Frau, beruhige dich! Nichts kann so schlimm sein, daß du dich deswegen krank machst. Jetzt sag mir, was los ist.«
»So ein unwürdiges Benehmen! So eine Schamlosigkeit!«
»Beruhige dich. Erzähl der Reihe nach.«
»Er hat nichts damit zu tun, es ist alles ihr Werk! Unsere Tochter, Gaius Julius, hat die beiden letzten Jahre damit zugebracht, Schande auf sich und ihre Familie zu häufen. Sie... sie hat sich einem Mann in die Arme geworfen, der nicht nur unwürdig ist, dir den Staub von den Schuhen zu wischen, sondern der obendrein nichts von ihr wissen will! Und mehr noch, Gaius Julius! Sie hat versucht, seine Aufmerksamkeit dadurch auf sich zu ziehen, daß sie gehungert hat, und hat ihm damit eine Schuld aufgeladen, die er durch nichts verdient hat! Briefe, Gaius Julius! Das Mädchen hat ihm Hunderte von Briefen geschrieben. Sie hat ihn für ihre Krankheit verantwortlich gemacht und um seine Liebe gebettelt wie eine winselnde Hündin!« Aus Marcias Augen strömten Tränen, Tränen der Enttäuschung und ohnmächtigen Wut.
»Beruhige dich«, wiederholte Caesar. »Bitte, Marcia, weinen kannst du später. Ich werde mit Julilla reden, und du mußt dabeisein.«
Marcia beruhigte sich, trocknete ihre Tränen, und zusammen kehrten sie ins Wohnzimmer zurück.
Julilla weinte noch immer, sie hatte nicht einmal bemerkt, daß sie allein war. Seufzend setzte Caesar sich auf den Lieblingsstuhl seiner Frau, fuhr suchend in die Brustfalten seiner Toga und holte sein Taschentuch hervor.
»Hier, Julilla, putz dir die Nase und hör auf zu weinen«, sagte er und schob ihr das Tuch hin. »Ich muß mit dir reden.«
Julilla hatte hauptsächlich deshalb geweint, weil man hinter ihr Geheimnis gekommen war. Als sie die beruhigend feste, sachliche Stimme ihres Vaters hörte, beruhigte sie sich. Sie hörte auf zu weinen und saß mit hängendem Kopf da, ihr zerbrechlicher Körper wurde von heftigem Schluckauf geschüttelt.
»Du hast wegen Lucius Cornelius Sulla gehungert, Julilla, stimmt das?« fragte Caesar.
Sie antwortete nicht.
»Julilla, du darfst der Frage nicht ausweichen, und ich werde keine Nachsicht haben, wenn du nicht antwortest. Ist Lucius Cornelius Sulla der Grund für all dieses Übel?«
»Ja«, flüsterte sie.
Caesars Stimme klang weiterhin fest und sachlich, aber die Worte brannten sich gerade deshalb um so tiefer in Julillas Herz. So sprach ihr Vater mit einem Sklaven, der ihm ein unverzeihliches Unrecht zugefügt hatte. Mit seiner Tochter hatte er noch nie so gesprochen. Bis jetzt.
»Hast du auch nur die leiseste Vorstellung, was für Schmerzen, Sorgen und Mühen du uns allen seit über einem Jahr zufügst? Seit über einem Jahr bist du der Mittelpunkt, um den sich alle drehen. Nicht nur ich, deine Mutter, deine Brüder und deine Schwester, sondern auch unsere treuen Diener, unsere
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